Rechtsnews 06.04.2022 Alex Clodo

Die BVerfG-Entscheidung zur Bundesnotbremse, Teil 2

Die Corona-Pandemie lief zwei Jahre; viele Monate lang auch die sog. Bundesnotbremse. Zahlreiche Gerichte haben sich zu etlichen rechtlichen Fragestellungen den Kopf zerbrochen. Egal, ob es um die Kontaktbeschränkungen, die Maskenpflicht oder das Beherbergungsverbot geht. Nun hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Entscheidung zur “Bundesnotbremse” einige grundlegende Fragen beantwortet, die wir im Folgenden aufzeichnen:

Sachverhalt

Verfassungsbeschwerden bzgl. Verbot und Beschränkung von Präsenzunterricht

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen Verbot und Beschränkung von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz in Gestalt eines Gebots von Wechselunterricht. Dabei gab es einen Wechsel von Präsenzunterricht in der Schule und Distanzunterricht zu Hause oder einer vollständigen Untersagung des Präsenzschulbetriebs. Das Verbot war als §28b Abs. 3 IfSG Bestandteil eines Gesamtschutzkonzepts, das mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.4.2021 bundesweit zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 eingeführt wurde.

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Durch die angegriffenen Vorschriften wurde der Präsenzunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen vollständig untersagt, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 den Schwellenwert von 165 je 100.000 Einwohner überschritt. Ab einem Schwellenwert von 100 durfte Präsenzunterricht nur zeitlich begrenzt in Form von Wechselunterricht stattfinden (§28b Abs. 3 S. 2 u. 3 IfSG). Die Länder konnten Abschlussklassen und Förderschulen von dem Verbot von Präsenzunterricht ausnehmen (§28b Abs. 3  S. 5 IfSG) und eine Notbetreuung nach von ihnen festgelegten Kriterien einrichten (§28b Abs. 3 S. 6 IfSG). Die Durchführung von Präsenzunterricht war nur zulässig bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte (§28b Abs. 3 S. 1 Hs. 1 IfSG). Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte durften nur dann am Präsenzunterricht teilnehmen, wenn sie zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 getestet wurden (§28b Abs. 3 S. 1 Hs. 2 IfSG).

§28b Abs. 10 IfSG begrenzte die Geltung der Vorschrift auf die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach §5 IfSG, längstens jedoch bis zum Ablauf des 30.6.2021. Dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite bestand, hatte der Bundestag erstmals mit Beschluss vom 25.3.2020 mit Wirkung zum 28.3.2020 festgestellt und diese Feststellung mehrfach wiederholt. Der Geltungszeitraum des angegriffenen §28b IfSG wurde über den 30.6.2021 hinaus nicht verlängert.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Verbot von Präsenzunterricht griff nach Einschätzung des Ersten Senats des BVerfG in das Recht auf schulische Bildung aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 7 Abs. 1 GG ein. Kindern und Jugendlichen stehe ein eigenes Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu. Um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickeln zu können, bedürften sie aber auch des Schutzes und der Hilfe, die in erster Linie den Eltern obliege (Art. 6 Abs. 2 GG). Der Staat sei dabei gegenüber dem Kind dazu verpflichtet, dass es sich in der Obhut der Eltern entwickeln könne. Aus Art. 2 Abs. 1 GG folge aber für Kinder und Jugendliche auch ein Recht gegenüber dem Staat auf schulische Bildung.

Dem Staat kommt nach Art. 7 Abs. 1 GG die Aufgabe zu, ein Schulsystem zu schaffen, das allen Kindern und Jugendlichen gemäß ihrer Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet, um so ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu fördern und zu unterstützen. Diese Aufgabe ist auf das gleiche Ziel wie das in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Recht der Kinder ggü. dem Staat auf Unterstützung ihrer Persönlichkeitsentwicklung gegeben. Daher kommt der Staat , wenn er den Auftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG gewährleistet, zugleich seiner obliegenden Pflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber den Kindern und Jugendlichen nach, sie bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und zu fördern.

Daher sieht das BVerfG in dem Verbot von Präsenzunterricht gem. §28b Abs. 2 IfSG einen Eingriff in das Recht Schülerinnen und Schüler auf schulische Bildung nach Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 GG. Dieser Eingriff war aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das Verbot von Präsenzunterricht ist formell und materiell verfassungsgemäß. Formell verfassungsgemäß sind die Vorschriften deshalb, da dem Bund die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zusteht. Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine dem Schulrecht zuzuordnende Maßnahme, für das Länder gem. Art. 70 GG die Kompetenz haben. Die bundesrechtlich vorgesehene wirksame Infektionsbekämpfung könne Regelungen zu solchen Kontaktorten erforderlich machen, die wie die Schulen in anderem Zusammenhang der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfallen. Das Gesetz habe nicht der Zustimmung des Bundesrates bedurft.

Hielt der zweite Teil der Bundesnotbremse einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stand?

Verhältnismäßigkeitsprüfung

Das Verbot des Präsenzunterrichts sei auch materiell verfassungsgemäß, insbesondere verhältnismäßig gewesen.

Ziel und legitimer Zweck des Verbots

Es habe mit dem Ziel, Leben und Gesundheit zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystem abzusichern, legitimen Zwecken gedient.

Geeignetheit des Verbots

Wann ist das Verbot geeignet? Das ist dann der Fall, wenn mit Hilfe des Verbots der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Dabei verfügt der Gesetzgeber in der Beurteilung der Eignung einer Regelung über eine Einschätzungsprärogative. Es genügt dann grundsätzlich, wenn die Möglichkeit der Zweckerreichung besteht. Der Spielraum des Gesetzgebers bezieht sich insofern auf die Einschätzung und Bewertung der Verhältnisse, der etwa erforderlichen Prognosen und der Wahl der Mittel, um seine Ziele zu erreichen. Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt.

In vertretbarer Weise konnte der Gesetzgeber annehmen, dass geöffnete Schulen einen Beitrag zur infektionsbedingten Gefährdung von Leib und Leben der Bevölkerung leisten, da sich Kinder und Jugendliche ebenfalls mit dem Corona-Virus infizieren können und es dadurch auf andere übertragen können.

Erforderlichkeit des Verbots

Das Verbot des Präsenzunterrichts war auch erforderlich. Gab es kein milderes Mittel um den Zweck zu erreichen? Ein gleich wirksames Mittel, das die Grundrechtsträger weniger belastet, war nicht ersichtlich. Insbesondere eine zweimal wöchentliche Testung mit Präsenzunterricht sei nicht gleich effektiv gewesen.

Angemessenheit

Zu guter Letzt müsste das Verbot auch angemessen gewesen sein. Es hat zunächst mit dem Beginn der Pandemie und den bereits erfolgten Schulschließungen Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder dienende Recht auf schulische Bildung gegeben. Auf der anderen Seite habe die Maßnahme jedoch Gemeinwohlbelangen von überragender Bedeutung gedient. Es sei insgesamt ein seinerzeit angemessener Ausgleich zwischen den mit der Maßnahme verfolgten Gemeinwohlbelangen und der Grundrechtssbeeinträchtigung der Schüler erzielt worden.

Weiterhin sei auch zu berücksichtigen, dass das Verbot des Präsenzunterrichts im Gegensatz zu anderen Maßnahmen nicht schon ab einem Inzidenzwert von 100, sondern erst ab 165 gegriffen habe, eine Notbetreuung gewährleistet war, Abschlussklassen und Förderschulen von den Ländern von dem Verbot ausgenommen werden konnten, bei Wegfall des Präsenzunterrichts Distanzunterricht durchzuführen war und die „Bundesnotbremse“ nur für eine kurze Frist vorgesehen war.

Ergebnis

Daher hatten die Verfassungsbeschwerden nach den abstrakten Ausführungen der Richter keinen Erfolg.

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Quelle:

BVerfG, Beschluss vom 19.11.20211 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21

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