Rechtsnews 27.04.2023 Alex Clodo

Haben ausländische Pflegekräfte Anspruch auf Mindestlohn?

Der Einsatz von ausländischen Pflegekräften in deutschen Haushalten ist mittlerweile gang und gäbe. Meist kommt die tatkräftige Unterstützung aus Osteuropa. Was macht diesen „Personalexport“ so attraktiv? Meist arbeiten die Hilfskräfte nicht nur besser und flexibler, sondern auch deutlich billiger. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun in einem Grundsatzurteil entschieden: Auch ausländische Pflegekräfte haben Anspruch auf  Mindestlohn, wenn sie in Deutschland arbeiten.

Die Frage nach einem Mindestlohn für ausländische Pflegekräfte ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethische und soziale Frage. Viele ältere Menschen in Deutschland sind auf die Hilfe von Pflegekräften aus Osteuropa oder anderen Ländern angewiesen, die oft rund um die Uhr für sie da sind. Doch wie werden diese Pflegekräfte bezahlt und welche Rechte haben sie?

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Konkret ging es um eine Bulgarin, die eine 90-jährige Frau rund um die Uhr betreute. Ihr Arbeitsvertrag sah eine monatliche Arbeitszeit von 30 Stunden vor. Die Arbeitnehmerin wurde der Familie über eine Agentur vermittelt. Die Vertragsparteien legten außerdem fest, dass keine Überstunden geleistet werden sollten. Die Vergütung richtete sich nach dem damals geltenden Mindestlohn von 8,50 €. Tatsächlich wohnte die Betreuerin in der Wohnung der Bedürftigen und leistete eine Rundumbetreuung. Neben der Unterstützung im Haushalt, der Verpflegung und der Körperpflege musste die Pflegerin auch nachts zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht wurde. Dafür stand ihre Tür offen.

Frau klagt Gehalt für Überstunden ein

Die Frau klagte auf Vergütung nach dem Mindestlohngesetz für 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche. Die Gegenseite argumentierte unter anderem, dass die Arbeitnehmerin alle anfallenden Arbeiten auch in einer 30-Stunden-Woche hätte erledigen können. Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage in erster Instanz statt. Das LAG korrigierte das Urteil jedoch und stellte fest, dass die Klägerin ihre Arbeitskraft 21 Stunden täglich in Anspruch genommen hatte. Der Verweis auf die vertraglich vereinbarten 30 Wochenstunden verstoße zudem gegen Treu und Glauben, § 242 BGB. Beide Parteien legten jedoch Berufung ein.

2021: BAG zur Situation ausländischer Pflegekräfte

Das Bundesarbeitsgericht hat am 24. Juni 2021 ein wegweisendes Urteil gefällt, das die Situation ausländischer Pflegekräfte verbessern könnte. Das Gericht entschied, dass ausländische Pflegekräfte, die in Deutschland arbeiten, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Dies gilt auch dann, wenn sie über eine Vermittlungsagentur im Ausland angestellt sind oder als Selbstständige arbeiten.

Grundlage des Urteils ist das so genannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das die Anwendung des deutschen Mindestlohns auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorschreibt, die von einem ausländischen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt werden. Das Gericht stellte fest, dass dieses Gesetz auch für Pflegekräfte gilt, die in Privathaushalten arbeiten. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass Pflegekräfte als Arbeitnehmer anzusehen sind, wenn sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Auftraggeber stehen und nicht frei über ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort bestimmen können.

Das Urteil hat weitreichende Folgen für die Pflegebranche in Deutschland. Schätzungen zufolge arbeiten rund 600.000 ausländische Pflegekräfte in deutschen Haushalten, von denen viele unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden oder gar keine Sozialversicherungsbeiträge erhalten. Das Urteil könnte dazu führen, dass diese Pflegekräfte rückwirkend Ansprüche auf höhere Löhne und Sozialleistungen geltend machen. Dies wiederum könnte die Kosten für Pflegebedürftige erhöhen oder zu einem Mangel an Pflegekräften führen.

Mit dem Urteil ist die Diskussion um den Mindestlohn für ausländische Pflegekräfte jedoch nicht beendet. Es sind noch viele Fragen offen, wie z.B. die Umsetzung des Urteils, die Rolle der Vermittlungsagenturen oder die Qualifikation der Pflegekräfte. Zudem ist der Mindestlohn allein kein Garant für einen fairen und menschenwürdigen Umgang mit Pflegekräften. Notwendig ist eine umfassende Reform der Pflegepolitik in Deutschland, die sowohl die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen als auch die Rechte der Pflegekräfte berücksichtigt.

Zusammenbruch häuslicher Pflege?

Die Fachverbände haben hier ihre Bedenken. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sagte: „So nachvollziehbar die Entscheidung auch ist. Das Urteil löst einen Tsunami für alle aus, die zu Hause auf die Hilfe ausländischer Pflegekräfte angewiesen sind. Hätten wir die ausländischen Pflegekräfte nicht, wäre die häusliche Pflege längst zusammengebrochen.”

Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler kommentierte das Urteil: „Es ist beschämend, dass in unserem Land viele pflegebedürftige Menschen und ihre Familien auf die sogenannte 24-Stunden-Pflege zurückgreifen müssen, weil das offizielle System keine ausreichende Unterstützung bietet”, erklärte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. “Das Modell, Frauen, meist aus osteuropäischen Ländern, im Haushalt des Pflegebedürftigen leben und arbeiten zu lassen, damit immer jemand da ist, basiert auf systematischem Rechtsbruch.”

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Quellen:

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bag-azr50520-mindestlohn-pflege-ausland-privathaushalt-bereitschaftszeit/

https://www.tagesschau.de/inland/bag-zu-mindestlohn-auslaendische-pflege-101.html

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bag-auslaendische-pflegekraefte-koennen-jetzt-auf-mindestlohn-pochen

 

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