Fachbeitrag 24.07.2014

Überlegungen zur Erweiterung der Bürgerbeteiligung in Großverfahren…


…im Spannungsfeld zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und den Belangen der im einzelnen Betroffenen einerseits und zwischen Rechtssicherheit für die Vorhabenträger und Verfahrensbeschleunigung andererseits

von Astrid Kappel

Die einschlägigen Vorschriften zur Zulassung von Großvorhaben (z.B. Infrastrukturvorhaben oder Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien) sehen bereits nach der geltenden Rechtsordnung regelmäßig eine Bürgerbeteiligung vor. Grundsätzlich kann man hier zwei Formen der Bürgerbeteiligung unterscheiden. Nach den einschlägigen Fachplanungsvorschriften (z.B. für Straßen, Schienen oder Flugplätze) erfolgt dies bisher in der Weise, dass in den hierfür durchzuführenden Planfeststellungsverfahren die Antragsunterlagen einmalig im Rahmen des sogenannten Anhörungsverfahrens einen Monat in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirkt zur Einsicht ausgelegt werden. Die Offenlage wird zuvor ortsüblich bekanntgemacht. Jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden, kann bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder der Gemeinde Einwendungen gegen den Plan erheben. Nach Ablauf dieser Einwendungsfrist sind alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf privatrechtlichen Titeln beruhen. Diese sog. Präklusion hat weitreichende Folgen, denn derjenige der die Frist versäumt, kann in keiner Weise mehr gegen das Vorhaben vorgehen. Im Anschluss an die Offenlage der Antragsunterlagen werden die rechtzeitig erhobenen Einwendungen mit den betroffenen Bürgern, dem Vorhabenträger und den Behörden in einem sog. Erörterungstermin besprochen. Im Anschluss daran wird ein Anhörungsbericht über die Ergebnisse gefertigt, auf dessen Basis dann die Entscheidung über die Zulassung getroffen wird.

Diese Art der Bürgerbeteiligung gilt in nahezu vergleichbarer Form auch für eine Reihe von Zulassungsverfahren für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, z.B. für solche die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen z.B. (on-shore) Windkraftanlagen. d.h. solche auf Landflächen mit einer Höhe von über 50 Metern oder für bestimmte Wasserkraftanlagen.

Die andere Form der Bürgerbeteiligung ergibt sich aus dem Baurecht und den von den Kommunen durchzuführenden Bauleitplanverfahren (Bebauungspläne und Flächennutzungspläne), mit denen ebenfalls Vorhaben planerisch zugelassen werden können. Dies gilt beispielsweise für Anlagen, die einer Baugenehmigung bedürfen und für die mittels Bauleitplanung erst noch die planungsrechtliche Zulässigkeit geschaffen werden muss. z.B. bei Photovoltaikanlagen oder auch bei Infrastrukturanlagen soweit ein Bebauungsplan ein fachplanungsrechtliches Verfahren ersetzen kann.

Das Baurecht sieht allerdings anders als das oben genannte Fachplanungsrecht vor, dass die Bürger in zwei aufeinanderfolgenden Offenlagen beteiligt werden. Das Gesetz gibt für die erste Stufe der Beteiligung (sog. frühzeitige Bürgerbeteiligung) den Kommunen wenig vor. Sie können weitgehend frei gestalten, wie sie diese durchführen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll im Rahmen dieser ersten Beteiligung die Öffentlichkeit aber über Ziele und Zwecke der Planung, Alternativen und über die voraussichtlichen Auswirkungen unterrichtet werden.

Die zweite Stufe der Bürgerbeteiligung im Baurecht ist, ähnlich wie die oben beschriebene Beteiligung im Fachplanungsrecht, formalisiert. Die Unterlagen werden auch hier für die Dauer eines Monats in der Gemeinde öffentlich ausgelegt, die Offenlage auch hier vorher ortsüblich bekannt gemacht. Die Frist in der die Bürger Einwendungen gegen das Vorhaben vorbringen können, beträgt im Unterschied zu der Einwendungsfrist nach Fachplanungsrecht (ein Monat + 2 Wochen) hier allerdings nur einen Monat. Bei verspätet vorgebrachten Einwendungen können diese zurückgewiesen werden, eine spätere Klage gegen das Vorhaben ist jedenfalls ausgeschlossen.

Vor dem Hintergrund, dass bei komplexen Großvorhaben diese Fristen doch als recht kurz empfunden werden (die Gerichte sehen diese Fristen allerdings durchweg als mit der Verfassung übereinstimmend an) und den weitreichenden Folgen, wenn diese Fristen versäumt werden, sehen zunehmend viele Bürger ihre Rechte nicht ausreichend gewahrt. Dies gilt im Besonderen für die Beteiligung im Fachplanungsrecht, das, wie dargelegt. nur eine Offenlage und Einwendungsmöglichkeit gewährt. Weitergehende Bürgerbeteiligungsmaßnahmen werden gefordert. Diese Forderung ist allerdings in Einklang zu bringen mit den politischen Bestrebungen, Verfahren zu straffen und zu beschleunigen, um beispielsweise angesichts des Atomausstiegs möglichst schnell Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien errichten zu können. Verfahrensbeschleunigung ist aber auch außerhalb dieser Thematik seit Jahren angesichts von Wettbewerbsnachteilen durch zu lange Genehmigungsverfahren auf der Tagesordnung und auch durch zahlreiche gesetzliche Maßnahmen umgesetzt worden. Zudem hat der Vorhabenträger ein berechtigtes Interesse an Rechtssicherheit im Hinblick auf das Verfahren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, das starke und teilweise auch durchaus berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an weitergehender Verfahrensbeteiligung umsetzen zu können.

Zunächst kann dies über die Umweltverbände geschehen, soweit Belange der Umwelt tangiert sind. Umweltverbände haben angesichts der im Mai 2011 ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Trianel Verfahren weitergehende Möglichkeiten in ein Verfahren einzugreifen als dies bisher der Fall war. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung, derartigen Verbänden bei Klagen gegen Bauvorhaben auch die Geltendmachung der Verletzung solcher Vorschriften zugebilligt, die alleine dem Interesse der Allgemeinheit dienen. Bisher haben nationale Rechtsvorschriften den Umweltverbänden eine Klagebefugnis nur für die Fälle eingeräumt, in denen eine Verletzung von Vorschriften geltend gemacht wird, die ein Rechtsgut Einzelner schützt, d.h. von sog. subjektiv-öffentlichen Rechten. Damit gehen die Einwendungs- und insbesondere Klagemöglichkeiten der Umweltverbände jetzt über das hinaus was der einzelne Bürger darlegen und durchsetzen kann. Ein Engagement der Öffentlichkeit in Umweltverbänden kann somit einen effizienteren Umweltschutz bei Großvorhaben gewährleisten.

Soweit die Öffentlichkeit aber andere, außerhalb von umweltrechtlichen Aspekten angesiedelte Themen, wie z.B. Wertverluste von Grundstücken, Planungsalternativen, Planrechtfertigung oder auch Mitspracherechte bei der Gestaltung von Vorhaben, einbringen möchte, führt dies nicht weiter. Hier besteht zunächst die Möglichkeit auch in den Fachplanungsgesetzen eine wie im Baurecht vorgesehene frühzeitige Bürgerbeteiligung zu implementieren. Dies wäre in jedem Fall sinnvoll und einem Vorhaben inhaltlich zuträglich, hat aber eher den Charakter einer informatorischen Sammlung der Bürgerinteressen und gibt dem Vorhabenträger die Möglichkeit, diese Interessen im weiteren Verfahren vor der förmlichen Auslegung noch zu berücksichtigen. Der Erfolg dieser frühzeitigen Einbindung wird nach aller Erfahrung dadurch erhöht, dass die Planung vor der ersten Offenlage im Rahmen von öffentlichen Vorstellungsveranstaltungen den Bürgern vorstellt und erläutert wird, dies trägt auch dazu bei, dass die Antragsunterlagen in der nachfolgenden förmlichen Offenlage durch die Bürger sehr viel besser verstanden werden und dadurch die Akzeptanz erhöht und das Misstrauen gegen die Planung vermindert werden kann. Verbindlichkeit für Bürger und Vorhabenträger für das weitere Verfahren wird mit der Einführung einer frühzeitigen Offenlage allerdings nicht erzielt.

Hier können die Instrumente der Mediation im Vorfeld des eigentlichen förmlichen Verfahrens weiterhelfen, die Bürger stärker einzubinden und ggf. einvernehmliche Lösungen zu erreichen. Das Mediationsverfahren, das ursprünglich für Konflikte im Familien- oder Arbeitsrecht entwickelt wurde, bietet mit seinen Grundsätzen und seiner Methodik die Chance, aus den von den Parteien vorgetragenen, oftmals stark verhärteten Positionen die dahinterstehenden Interessen herauszuarbeiten und auf dieser Basis zu einer Lösung zu gelangen, wobei die Akzeptanz der hierdurch gefundenen Lösungen bei den Betroffenen deutlich höher ist als bei streitig ausgetragenen Konflikten. Aufgrund dieser Möglichkeiten setzt sich die Mediation auch im Verwaltungsrecht mehr und mehr durch. Die Verwaltungsgerichte in Baden-Württemberg bieten z.B. an, streitige Verfahren mit dieser Methode zu befrieden. Am Ende des Mediationsverfahrens können verbindliche, vertragliche Abreden der Parteien stehen. Soweit dies gelingt und Lösungen nicht nur reine Absichtserklärungen bleiben, wird dies dazu führen, dass das nachfolgende Genehmigungsverfahren inhaltlich und zeitlich entlastet und nachfolgende Klagen vermieden werden können. Eine vorgeschaltete Mediation kann unabhängig davon aber in jedem Fall helfen, die Diskussionen und Auseinandersetzungen im weiteren Verfahrensverlauf zu versachlichen.

Auch der Vorhabenträger profitiert von einer derartigen Verbindlichkeit, denn ohne diese läuft er Gefahr, viel Zeit zu verlieren, in dem er hinter den Vorstellungen der Betroffenen her plant und doch keine Rechtssicherheit gewinnt. Im schlechtesten Fall lässt er sich auf Wünsche ein, die nicht das fachplanerische Optimum darstellen in der Hoffnung, Bedürfnisse Betroffener zu befrieden und verschlechtert dadurch eventuell seine Position für spätere Verfahren. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Belange der Öffentlichkeit nicht kongruent sind, sondern in sich widerstreitend, was in der Umsetzung von Großprojekten regelmäßig der Fall ist.

Astrid Kappel

Rechtsanwältin
Mediatorin DAA
Fachanwältin für Verwaltungsrecht
Lehrbeauftragte an der FH für öffentliche Verwaltung Ludwigsburg

www.karstenlaw.de

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