Fachbeitrag 21.01.2016

Verkehrsunfall in Frankreich


Wer in Frankreich einen Verkehrsunfall hat, kann Hilfe im Vorgehen gegen die Versicherung des Schädigers gut gebrauchen: Unterschiede in Kultur und Arbeitsweise sind noch immer spürbar, von der Sprache ganz zu schweigen. Alle Unfallopfer aber besonders wer als Fußgänger von einem Auto angefahren oder gar überfahren wird, bedürfen besonderen Schutz, den das sogenannte Loi Badinter, Loi n° 85-677 du 5 juillet 1985 tendant à l’amélioration de la situation des victimes d’accidents de la circulation et à l’accélération des procédures d’indemnisation, gewähren soll. Es beabsichtigt die Verbesserung der Situation der Unfallopfer und eine Beschleunigung der Entschädigungsverfahren.

Was ohnehin schlimm ist, fühlt sich im schönen aber fremden Ausland schnell noch unangenehmer an: man spricht vielleicht die Sprache nicht oder nicht gut genug. Außerdem richtet sich ein Verkehrsunfall in Frankreich in der Regel nach dem unbekannten französischen Recht. Ausnahmen hiervon sind z.B., wenn beide Deutsche sind oder beide Beteiligte ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Dann richtet sich die Regelung des Unfalls nach deutschem Recht.

Das französische Recht hält gegenüber dem deutschen Recht jedoch einige Vorteile bereit:

Das französische Recht gewährt ein deutlich höheres Schmerzensgeld und eine umfangreiche Entschädigung. Zusätzlich gilt für Fußgänger, dass diese, von extremen Ausnahmen abgesehen, an einem Verkehrsunfall mit einem Auto grundsätzlich keine Schuld tragen und sich auch keine Mitschuld anrechnen lassen müssen. Außerdem verwenden die Versicherer, assureur, der Garantiefonds, Fonds de garantie, diverse Gerichte und seit einiger Zeit auch die Cour de Cassation die sogenannte Nomenclature Dintilhac. Dies ist ein standardisiertes Vorgehen zur genauen und umfangreichen Berücksichtigung, Einordnung und Bewertung der unterschiedlichen Unfallfolgen und Schäden. Dieses Schema differenziert u.a. zwischen direktem und indirektem Unfallopfer, victime directe et indirecte, materiellen und immateriellen Schäden, préjudice patrimoniaux et extrapatrimoniaux, vorübergehenden und bleibenden Schäden und nach dem Datum der Konsolidierung des Heilverlaufs.

 

Materieller Schaden, préjudice patrimonial

Hierunter fallen vorübergehende Schäden am Vermögen, vor Konsolidierung des Heilverlaufs, so zum Beispiel die Kosten für die Gesundheit, Reisekosten, Telefonkosten und Einkommenseinbußen.

Dazu kommen gegebenenfalls dauerhafte Vermögensschäden, nach Konsolidierung. Hierbei handelt es sich um Kosten für die Gesundheit bzw. Krankheit für die Zukunft, die Kosten für eine auf die körperliche Beeinträchtigung abgestimmte Wohnung und Fahrzeug, die Kosten für die Unterstützung durch Dritte, Einkommenseinbußen für die Zukunft, Beeinträchtigungen der beruflichen Laufbahn, Beeinträchtigung der Schullaufbahn, Universität oder Ausbildung.

 

Immaterielle Schäden, préjudice extrapatrimonial

Auch der immaterielle Schaden ist eingeteilt in vorübergehenden und permanenten Schaden.

Die vorübergehenden Schäden bestimmen sich vor der Konsolidierung. Sie setzen sich zusammen aus den vorübergehend erlittenen Schmerzen und der vorübergehenden ästhetischen Beeinträchtigung. Außerdem kommt das vorübergehende Defizit körperlicher Funktionen dazu, der vorübergehende Verlust an Lebensqualität und der üblichen Freuden und Genüsse des täglichen Lebens des Unfallopfers: die Trennung von der Familie und Freunden während eines Krankenhausaufenthalts, der Verlust oder Entzug von Freizeitaktivitäten und des Sexualempfindens.

Nach Konsolidierung spricht man von den bleibenden, permanenten Schäden. Diese sind z.B. die entgangene Lebensfreude, permanente ästhetische Beeinträchtigungen, Verlust der Sexualfreude, außergewöhnliche immaterielle Schäden. Hierbei geht es auch um die dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen Funktionalität im jeweiligen Umfeld des Unfallopfers: der Angriff auf die körperliche und psychische Unversehrtheit, atteinte à l’intégrité physique, psychique AIPP, chronische Schmerzen, douleur permanent, dauerhafter Verlust der Lebensfreude, perte de qualité de vie, dauerhafte Schwierigkeiten unter den betreffenden Lebensbedingungen.

Auch die sich noch entwickelnden dauerhaften Erkrankungen, préjudices évolutifs, die Folge des Unfalls sind und jenseits der Konsolidierung zu bemessen sind, werden entschädigt. Hierzu gehören die unheilbaren Krankheiten, die sich als Folge des Unfalls entwickeln können.

 

Indirekte Unfallopfer, victimes indirectes

Wenn das direkte Unfallopfer verstorben ist, werden die Kosten für die Beerdigung, der Vermögensausfall und allgemeine Aufwendungen der Angehörigen ebenso entschädigt wie der Verlust der Anwesenheit des Verstorbenen, préjudice d’accompagnement, und der Verlust an Zuneigung, préjudice d’affection.

 

Wie geht es nach dem Unfall weiter?

Fußgänger sollten den Unfallgegner unbedingt nach seinen persönlichen Daten und den Daten seiner Haftpflichtversicherung fragen. Dies ist selbstverständlich für Autofahrer und Motorradfahrer, gilt aber genauso für z.B. Radfahrer, Skateboarder, Rollerfahrer und Inlineskater.

Am Unfallort kann direkt ein Formular für den constat amiable ausgefüllt werden, das alle Informationen zu den Beteiligten und eine Unfallskizze enthalten sollte. Diese Formulare finden sich auch in Mietwagen.

Hat der Unfallverursacher Fahrerflucht begangen oder hat er keine Versicherung, so wenden wir uns an den Fonds de Garantie, den Garantiefonds.

Die Versicherungen aller Unfallbeteiligter sollten umgehend, spätestens 5 Tage nach dem Unfall, über diesen unterrichtet werden. Die Schadensanzeige, avis de sinistre, ist unerlässlich.

Sobald die französische Versicherung des Unfallverursachers informiert ist, muss sie sich an das Unfallopfer wenden. Sie muss dieses über seine Rechte informieren. Hierzu gehören die kostenlose Aushändigung des Unfallprotokolls der Gendarmerie oder Polizei sowie die Aufklärung über das Recht auf die Unterstützung durch einen Rechtsanwalt oder Arzt seiner Wahl, falls ein medizinisches Gutachten erfolgt, Art. L.211-10 Code des assurances.

Zusätzlich erhält der Geschädigte einen Fragebogen, in dem er die erlittenen Verletzungen und Schäden, sein Alter und Familienstand, seinen Beruf, seine eigenen Versicherungen wie Krankenversicherung, berufsständische Versicherung, Rentenversicherung und Versorgungswerk angeben soll. Dieser Fragebogen soll zusammen mit jedem vorliegenden ärztlichen Attest oder Bericht und Rechnungen binnen 6 Wochen ausgefüllt und an die Versicherung zurückgesendet werden. Sollte dies im Einzelfall länger dauern, kann die Versicherung ebenfalls erst später reagieren.

Die Versicherung des Schädigers muss binnen 8 Monaten nach dem Unfall oder 3 Monate nach der Entschädigungsforderung des Geschädigten ein Angebot machen, das alle Schäden abdeckt. Falls die Schäden, Verletzungsfolgen und gesundheitlichen wie beruflichen Folgen noch nicht abzusehen sind, so hat der Versicherer ein vorläufiges Angebot zu machen, eine offre d’indemnisation provisionnelle. Hat sich der Zustand bereits konsolidiert, sprich ist der Heilverlauf zu einem Stillstand gekommen, hat die Versicherung ein endgültiges und abschließendes Angebot zu unterbreiten, offre d’indemnisation définitive.

Falls der Geschädigte oder seine Erben das Angebot der Versicherung akzeptieren, wird der Betrag binnen 45 Tagen ausgezahlt. Verstreicht diese Frist ohne dass eine Zahlung erfolgt, so hat die Versicherung Zinsen zu zahlen.

Ist der Geschädigte mit dem Angebot nicht einverstanden, so muss er dieses binnen 15 Tagen per Einschreiben/Rückschein zurückweisen. Er kann dann ein angemessenes Angebot fordern oder Klage bei Gericht in Frankreich erheben. In diesem Fall erfolgt die endgültige Zahlung erst nach Abschluss des Prozesses.

 

Die Entschädigung

Leichte körperliche Schäden werden nach Aktenlage durch einen medizinischen Sachverständigen der Versicherung bewertet. Anschließend wird nach Aktenlage ein Angebot zur Entschädigung, offre d’indemnisation, gemacht.

Bei allen anderen Verletzungen wird die Versicherung ein medizinisches Gutachten vorschlagen. Hierbei hat der Verletzte für die Wahl des Gutachters ein Mitspracherecht. Hier sollte insbesondere auf die sprachlichen Fähigkeiten der Gutachter geachtet werden. Wenn der Verletzte und seine Familie kein Französisch sprechen, sollte ein Gutachter ausgewählt werden, der nicht nur fachlich kompetent ist, sondern auch Deutsch spricht. Der französische Gutachter sucht den Verletzten in seinem Zuhause auf. Sollten hier Empfindlichkeiten bestehen, sollten diese gegenüber der Versicherung und dem Gutachter genannt werden, damit sie Berücksichtigung finden können.

Das Unfallopfer wird mindestens 15 Tage vor der Begutachtung über den Termin informiert. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Terminsfindung gerade bei schweren Verletzungen und einem Geschädigten im außerfranzösischen Ausland etwas längerfristig gestaltet. Nach dem Termin zur Begutachtung erstellt der Sachverständige innerhalb von 20 Tagen sein Gutachten und lässt es allen Beteiligten, also auch dem Unfallopfer, zukommen.

Der Termin mit dem Sachverständigen ist extrem wichtig, da die Sachverständigen die Schäden, Verletzungen und Schmerzen nach einer Skala bewerten, die sich direkt in Geld niederschlägt.

Zunächst wird der gesamte Unfall- und Verletzungsverlauf inklusive aller Arztberichte und Entlassungsbögen der Krankenhäuser aufgenommen, rappel des faits. Ein deutsch sprechender Arzt kann hier bereits auf Deutsch geschriebene Dokumente der weiter behandelnden Kliniken aufnehmen, ohne dass umständliche und oft mangelhafte Übersetzungen angefordert werden müssen.

Dann wird bei Unfallopfern mit schweren körperlichen Einschränkungen und Pflegebedarf, wie zum Beispiel bei Schädel-Hirn-Trauma oder Verletzungen des Bewegungsapparates oder der Wirbelsäule, ein typischer Tagesablauf beschrieben. Ebenfalls werden eventuell vorhergehende Erkrankungen aufgenommen. Die bestehenden Beschwerden und Einschränkungen werden beschrieben. Es folgt eine körperliche Untersuchung. Abschließend wird der Befund zusammengefasst und erklärt.

 

Die Skala zur Einordnung der Verletzungen

  • Gêne/déficit fonctionnel temporaire totale: vollständige aber vorübergehende Beeinträchtigung der Körperfunktionen, wie zum Beispiel bei Krankenhausaufenthalt von..bis
  • Gêne/déficit fonctionnel temporaire partielle: teilweise und vorübergehende Beeinträchtigung nach Klassen 1- 4, wobei Klasse 1 eine Einschränkung von 10% darstellt, Klasse 2 schon 25%, Klasse 3 entspricht 50% und Klasse 4 ist bei 75%.
  • Consolidation: das Datum der Konsolidierung des Heilverlaufs
  • A.I.P.P., atteinte sur l’intégrité physique et psychique: pysische und psychische Beeinträchtigung in Prozent
  • Souffrances endurées: die erlittenen Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 7
  • Dommage esthétique: der ästhetische Schaden auf einer Skala von 1 bis 7
  • Aide humaine: ob und wenn dann wie oft und wie lange Hilfe durch Dritte benötigt wird
  • Répercussion des séquelles pour l’activité professionnelle, de l‘agrément, de la vie sexuelle: Folge für Beruf, Freizeit und Sexualerleben

 

Schließlich wird der Gutachter die in der Zukunft entstehenden Kosten für z.B. Medikamente, Pflegemittel, Physiotherapie, Nachsorgeuntersuchungen, Kontrolluntersuchungen beschreiben.

Dieses Gutachten würde auch in einem Gerichtsverfahren in Frankreich herangezogen werden. Deshalb ist es so wichtig, den richtigen Gutachter auszuwählen und bei der Begutachtung präsent zu sein beziehungsweise gut unterstützt zu sein. Die Einordnung in den Skalen schlägt sich direkt in der Entschädigung nieder.

Für ein Verfahren in Deutschland, zum Beispiel betreffend die Festsetzung von Pflegegeld oder Einstufungen hinsichtlich Behinderungen oder Rentenzahlungen, würde man dennoch ein Gutachten von einem deutschen Gutachter nach hiesigen Maßstäben anfordern.

 

Unser Vorgehen, Ihre Entschädigung

Im Gespräch mit Ihnen ermitteln wir den Stand des Verfahrens. Bitte bringen Sie alle medizinischen Unterlagen und Dokumente zu dem Unfall, die Sie haben, mit. Gegebenenfalls ermitteln wir die Schadensnummer bei der gegnerischen Versicherung. Falls noch gar nichts passiert ist, machen wir die Schadensanzeige für Sie. Hierzu übermitteln wir nach Absprache auch die relevanten ärztlichen Dokumente. Falls es polizeiliche Ermittlungen in Frankreich gibt oder gegeben hat, fordern wir die Ermittlungsakte an, damit wir einen klaren Eindruck von der Situation erhalten.

Wir wirken auf eine zeitnahe vorläufige Entschädigung hin, damit bereits aufgelaufenen Kosten möglichst schnell ausgeglichen werden. Handelt es sich um eine schwerwiegende Verletzung, besuche ich den Geschädigten, schaue mir das häusliche Umfeld an und spreche mit den Angehörigen. Nach diesem Eindruck empfehle ich einen Sachverständigen, der französischer Gutachter ist aber auch Deutsch spricht. Anschließend wird ein Termin für die Begutachtung abgestimmt.

Ich bereite Sie und Ihre Angehörigen auf den Termin zur Begutachtung vor. Während der Begutachtung bin ich anwesend und die ganze Zeit im Dialog mit dem Gutachter.

Nach Erhalt des Gutachtens wirken wir auf die angemessene endgültige Entschädigung hin. Sollte sich mit der Versicherung keine Einigung erzielen lassen, kommt auch ein Gerichtsverfahren in Frankreich in Betracht. In diesem Fall arbeiten wir mit französischen Kollegen vor Ort zusammen.

Findet sich eine Einigung, verschlechtert sich aber der Gesundheitszustand des Geschädigten nachträglich, so kann die vorherige Einigung aufgegriffen und zugunsten des Geschädigten abgeändert werden.

Unser Ziel ist erreicht, wenn Sie sich von uns gut begleitet fühlen und angemessen entschädigt sind.

 

Bitte beachten Sie, dass diese Ausführungen der generellen Information dienen. Zur Prüfung und Durchsetzung Ihrer Ansprüche bedarf es einer konkreten anwaltlichen Beratung.

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Rechtsanwalt
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