Fachbeitrag 07.01.2008

Schützt Selbstmordgefahr vor Räumungsvollstreckung?


Hat der Vermieter nach Kündigung von Wohnraum einen Räumungstitel erwirkt, kann er einen Gerichtsvollzieher mit der Räumung beauftragen, sollte der Mieter nicht freiwillig ausziehen.

Für den Mieter bedeutet dies häufig den schmerzlichen Verlust einer Wohnung, die er über lange Zeit als sein zu Hause begriffen hat. Vereinzelt kommt es sogar vor, dass ein Mieter die zu räumende Wohnung als seinen Lebensmittelpunkt versteht, im Fall einer ernsthaften psychischen Erkrankung sogar dem zwanghaften Wunsch unterliegt, bei einem Verlust seiner Wohnung seinem Leben ein Ende zu setzen.
Das Vollstreckungsgericht hat dann zu entscheiden, ob dem titulierten Räumungsinteresse des Vermieters Vorrang vor dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgut des Mieters auf allgemeinen Schutz seines Lebens zu geben ist. Nach der Rechtsprechung soll es zunächst keine Rolle spielen, ob der eigentliche Auslöser der Selbstmordabsichten erst die bevorstehende Vollstreckung des Räumungstitels oder bereits dessen Existenz schlechthin ist, die der Schuldner nicht akzeptieren will.
§ 765 a ZPO gebietet die Rücksichtnahme bezüglich besonders nachteiliger Auswirkungen der Zwangsvollstreckung auf den Schuldner und seine nahen Angehörigen. Eine Gefahr für Leib und Leben des Vollstreckungsschuldners und/oder seiner nahen Angehörigen stellt nach der Rechtsprechung das Bundesgerichtshofes nur dann einen Vollstreckungsschutz dar, wenn der selbstmordgefährdete Mieter ersichtlich nicht in der Lage ist, die Selbsttötungsgefahr durch die Inanspruchnahme fachlicher Hilfe, gegebenenfalls auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik, auszuschließen oder zu verringern.

Das Vollstreckungsgericht muss durch entsprechende Auflagen auf den Schuldner konkret einwirken, so dass er genau weiß, welche Anforderungen er erfüllen muss, um in den Genuss des Vollstreckungsschutzes zu gelangen. Schlichte Empfehlungen des Gerichtes an den Schuldner reichen hingegen nicht aus. Gegebenenfalls müsse – so der Bundesgerichtshof – das Vollstreckungsgericht in geeigneten Fällen konkret durch die dazu berufenen Behörden Betreuungs- und Schutzmaßnahmen zu Gunsten des suizidgefährdeten Mieters veranlassen. Dies ergebe sich aus der Pflicht des Gerichts, auch dem Vermieter als Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen.
Es liegt auf der Hand, dass ein geschickt taktierender Schuldner seine Suizidgefahr nur vortäuschen könnte um seiner Räumung aus der Wohnung zu entgehen. Ein Gericht wird in der Regel nicht aus eigener Kenntnis feststellen können, ob die Selbstmordgefahr des Mieters tatsächlich besteht oder nur vorgetäuscht wird. Der Bundesgerichtshof gewährt unter den oben genannten Voraussetzungen dennoch vorrangigen Vollstreckungsschutz zu Gunsten des seinen Selbstmord anzeigenden Mieters, weil es in seinem Fall um das höchste Gut, nämlich das des Lebens geht. Ein Irrtum des Gerichts könnte einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zur Folge haben.

Ein die Auflagen nicht erfüllender Mieter sei allerdings nicht schutzwürdig. Anderenfalls käme es einer Enteignung des Vermieters gleich, wenn er einen Räumungstitel zu Gunsten seines Grundstücks nicht vollstrecken könnte. Das Vollstreckungsgericht muss daher in jedem Einzelfall genau prüfen, welchem Interesse der Vorzug zu geben ist. Dem Vermieter als Inhaber eines bereits erwirkten Räumungstitels kann in derartigen Fällen nur angeraten werden, bei einem seine Selbstmordgefahr anzeigenden Räumungsschuldner umgehend die nach dem jeweiligen Landesunterbringungsgesetz zuständige Behörde umfassend zu informieren. Diese ist für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verantwortlich.
Sollte sich im Zuge der Ermittlungen herausstellen, dass der Mieter tatsächlich unter schweren psychischen Erkrankungen leidet, die zu einer Selbstmordgefahr führen, sollte er über das Vormundschaftsgericht gemäß § 1896 BGB eine Betreuung des Schuldners anregen. So könnte der Vermieter eine dauerhafte Einstellung seines Vollstreckungsanspruchs vermeiden, wenn das Vormundschaftsgericht eine Betreuung anordnet. Der Schuldner gelangt dann in den Schutz staatlicher Hilfe.
Stellt das Vormundschaftsgericht hingegen fest, dass eine Betreuung aus medizinischen oder psychologischen Gründen nicht erforderlich ist, steht auch für das Vollstreckungsgericht zugleich fest, dass ein Vollstreckungsschutz zu Gunsten des Mieters entbehrlich ist.

Die Interessen des Vermieters an der Nutzung seines Eigentums müssen dann Vorrang haben. Der beauftragte Gerichtsvollzieher müsste die Räumung vollstrecken.

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Rechtsanwalt
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