Mit Urteil der Vereinten Senate des italienischen BGH’s Nr. 26972 vom 11.11.2008 ist die Schadensposition des Schmerzensgelds de facto abgeschaffen worden. Der Personenschaden muss somit über den „danno biologico“ (Gesundheitsschaden) bzw. über die sog. „Personalisierung des Schadens“ geltend gemacht werden.
Die große Bedeutung der von der Verfassung geschützten Rechtsgüter wie das Leben, die Gesundheit, die Familie, die uneingeschränkte Lebensführung im italienischen Schadensrecht.
In Italien haben verschiedene Arten von Schadensersatzansprüchen, die sich auf die von der Verfassung geschützten Rechtsgüter wie das Leben, die Gesundheit, Familienband, Recht auf Ausübung einer uneingeschränkten Lebensführung, Bildung usw. große Tradition und sofern diese durch ein schädigendes Ereignis beeinträchtigt bzw. zerstört werden, dann können die Geschädigten allemal Ansprüche stellen. Diese Güter bzw. Werte, die zu den Allerhöchsten gelten, sollen nach italienischem Verständnis besonders geschützt werden, und zwar nicht nur durch irgendwelche Bestimmungen, sondern vor allem auch dann, wenn sie beeinträchtigt werden, dann soll der entstandene Schaden auch in gebührender Weise ersetzt werden.
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Im Rahmen des Personenschadens werden im italienischen Schadensrecht folgende Schadenspositionen anerkannt:
- sog. „danno biologico“ (biologischer Schaden)
- Tagegeld – 136 Euro/ Tag (Zeitraum der Krankschreibung)
- Personalisierung des Schadens
Es sei darauf hingewiesen, dass mit Urteil der Vereinten Senate des ital. BGHs Nr. 26972 vom 11.11.2008 die Schadensposition des Schmerzensgeldes de facto abgeschaffen worden ist.
Man unterscheidet somit nur mehr zwischen dem „danno patrimoniale“ (Sachschaden) und dem „danno non patrimoniale (Personenschaden)“, wobei somit der Schmerzensgeldanspruch nicht mehr als eine eigenständige Schadensposition des Personenschadens zu betrachten ist. Mit diesem Begriff wird heute lediglich die subjektive Schmerzsituation beschrieben, die aufgrund eines schädigenden Ereignisses entstehen kann.
Bezüglich der oben genannten Schadenspositionen sei darauf hingewiesen, dass die italienische Rechtsprechung die Schadensposition des sog. „danno biologico“ (sinngemäß mit „biologischer Schaden“ übersetzbar) erarbeitet hat und zwar wird dem Geschädigten aufgrund der Beeinträchtigung des verfassungsmäßig geschützten Rechtsgutes der Gesundheit ein Schadenersatz zugesprochen, wobei aufgrund von Gliedertaxen die Beeinträchtigung bestimmt wird. Der Invaliditätsgrad der Beeinträchtigung der Gesundheit (wie bei einer privaten Unfallversicherungspolice) muss aber zwingend durch einen Facharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bestimmt werden.
Gemäß obigen Urteils der Vereinten Senate des italienischen BGHs muss der „danno biologico“ also zwingend mittels rechtsmedizinischem Gutachten nachgewiesen werden.
Ohne ein rechtsmedizinischen Parteigutachten, welches vor Einreichung der Klage erstellt werden soll, kann man einerseits die Schadenersatzansprüche gar nicht errechnen bzw. die Ansprüche des Mandanten gar nicht in gebührender Weise gemäß italienischem Schadensrecht geltend machen. Das Gericht muss dann im Laufe des Verfahrens einen Sachverständigen bestellen, welcher nach vorheriger Untersuchung des Geschädigten ein Gutachten erstellt. Andernfalls kann das Gericht dem Geschädigten laut obigem Urteil des italienischen BGHs für den Personenschaden gar keinen Schadenersatz zusprechen.
Bezüglich des „danno biologico“ besteht somit eine rigorose und umfangreiche Darlegungs- und Beweispflicht, sowohl was die Ansprüche dem Grunde, als auch der Höhe nach anbelangt.
Es gibt dann eine Unmenge von Tabellen, wo je nach Alter des Geschädigten und nach Grad der bleibenden Invalidität ein Schadenersatz zuerkannt wird (Tabellen von Pisa, Genua, Bologna, Mailand, Rom, Palermo, Drei Venetien, Reggio Calabria).
Der „danno biologico“ kann also wie folgt definiert und beschrieben werden:
- die zeitweise oder permanente Beeinträchtigung des Rechtsgutes der Gesundheit, welche sich negativ auf die allgemeine Lebensweise auswirkt.
- aufgrund eines Unfalles kann der Geschädigte eine Krankheit erleiden, und man spricht dann von einem zeitweiligen biologischen Körperschaden, welcher vollständig oder auch nur teilweise sein kann, d.h. je nachdem ob sich eine vollständige oder auch nur teilweise Beeinträchtigung bzw. Krankheit einstellt. Im Gutachten, welches der Gerichtsmediziner erstellt, soll auch der Zeitraum der zeitweiligen Krankschreibung angegeben werden, zumal es sich hierbei um eine eigene Schadensposition innerhalb des Personenschadens handelt.
- sollte sich beim Geschädigten auch noch ein Dauerschaden einstellen, so spricht man von einem bleibenden biologischen Körperschaden. Der Gutachter muss auch den entsprechenden Invaliditätsgrad angeben.
- sollte sich die Krankheit ferner auch auf die Erwerbsfähigkeit des Geschädigten auswirken und sich somit eine Reduzierung derselben einstellen, so spricht man von einem „danno patrimoniale specifico“, welcher sich dann auf den sogenannten Vermögensschaden auswirkt.
Im Betrag, den das Gericht gemäß der Tabellen für den sog. „danno biologico“ festsetzt, kann die Entschädigung für das sogenannte Schmerzensgeld bereits berücksichtigt sein (siehe Mailand) oder auch nicht (siehe Palermo).
Beispielhaft sei erwähnt, dass die italienischen Gerichte dem Geschädigten bei einem HWS Schleudertrauma in der Regel Euro 4.000,00 – Euro 5.000,00 zusprechen. In anderen Fällen wurde dem Geschädigten bei einer komplizierten Sprunggelenksruptur und einem Kreuzbandriss ein Betrag von Euro 130.000,00 zugesprochen; in einem weiteren Fall bei einer Hüftgelenksluxationsfraktur mit Verletzungen am rechten Kniegelenk mit anschließender Arthrose ein Betrag in Höhe von Euro 240.000,00. Einer Frau, die in Folge eines Unfalles querschnittgelähmt blieb, wurde ein Betrag in der Höhe von Euro 960.000,00 und einem anderen Geschädigten nach einem schweren Schädelhirntrauma ein Betrag von Euro 1.100.000,00 (alles ohne vermehrte Bedürfnisse) zugesprochen. Generell kann festgehalten werden, dass sich bei steigenden Invaliditätsgraden die entsprechenden Schadenersatzbeträge gemäß italienischem Recht exponentiell erhöhen und in der Regel mindestens 3 Mal so hoch sind, als es in Deutschland üblich ist.
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Der italienische BGH hat in mehreren Urteilen ausdrücklich erklärt, dass jeder Fall anders liegt und somit auch für sich beurteilt werden muss.
Es genügt somit nicht, bei der Bemessung des Schadenersatzbetrages für den Personenschaden die Verurteilung in anderen Fällen zugrunde zu legen, ohne den Umständen des konkreten Falles Rechnung zu tragen.
Somit wurde, im Rahmen des italienischen Schadenrechtes bei Personenschäden von der Rechtsprechung eine neue Schadensposition erarbeitet.
Sollte im Laufe des Verfahrens nachgewiesen werden können, dass der Geschädigte aufgrund der Verletzungen in seiner Lebensführung (Ausübung von Hobbys, sonstiger Freizeitaktivitäten) eingeschränkt ist, so kann ihm das Gericht mittels der Schadensposition der „personalizzazione del danno“ („Personalisierung des Schadens“) im Wege der Billigkeit noch einmal zusätzlich zur Entschädigung für bleibenden Körperschaden einen Betrag zusprechen, der 10 bis 40% der ersteren Summe entspricht.
Im Rahmen der sogenannten direkten Schadensregulierung bei Fällen, in denen sich beim Geschädigten ein Körperschaden von nicht mehr als 9% an biologischem Schaden einstellt, kann das Gericht im Sinne des Art. 138 des gesetzesvertretenden Dekretes Nr. 209 aus dem Jahre 2005 dem Geschädigten für die sogenannte Personalisierung des Schadens maximal 20% des bleibenden Körperschadens zusprechen.
Die Schadensposition „personalizzazione del danno“ muss aber zwingend mittels Zeugen und Parteisachverständigengutachten in gebührender Weise nachgewiesen werden; andernfalls erkennen die Gerichte den entsprechenden Anspruch des Geschädigten nicht an, mit der Begründung, dieser habe den Schaden nicht ausreichend vorgetragen bzw. belegt.
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Zusammenfassend ist für deutsche Anwälte und Richter bei der Anwendung italienischen Rechts also nicht nur zu beachten, dass die Schadenliquidierungskriterien teils völlig anders sind, als die in Deutschland bekannten, sondern es stellt sich auch die Frage, ob verfahrenseinleitende Schriftsätze oder auch Urteile, die unter dem Deckmantel der angeblichen Anwendung italienischen Rechts eigentlich nach den im deutschen materiellen Recht bekannten Rechtsgrundlagen verfasst sind, nicht als völlig nichtig bzw. gesetzeswidrig (mit allen damit zusammenhängenden Konsequenzen) zu betrachten sind.
Nicht unerwähnt bleiben soll ferner, dass diese auf Unwissenheit zurückzuführenden Nachlässigkeiten bei der Wahrnehmung der Interessen der Geschädigten auch disziplinarrechtliche Konsequenzen für Anwälte in Deutschland haben können.
Sofern Mandanten zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis von den Möglichkeiten des italienischen Schadensrechts erlangen, könnte sich für deutsche Anwälte auch die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung für die mangelnde Geltendmachung von Ansprüchen stellen.
Falls aus reiner Unkenntnis oder Bequemlichkeit für ausländische Schadensfälle einfach deutsches Recht angewendet wird, so widerspricht dies jedenfalls den elementarsten Prinzipien eines Rechtsstaates.
Ergänzend wir eine auszugsweise Beschreibung des Vortrages des Autors dieses Aufsatzes, welcher in der Februar-Ausgabe 2012 „Der Verkehrsanwalt“ erschienen ist, wiedergegeben:
„Im positiven Sinne nicht viel zu sagen gibt es zu den Vorträgen der durchweg namhaften Referenten (ganz überwiegend aus der „Rechts-Bundesliga“) am Freitag und am Samstag. Alle Vorträge waren gewohnt informativ und kurzweilig, wobei – ohne die anderen Referenten herabsetzen zu wollen – aus Sicht des Verfassers des Referat des Kollegen Dr. Markus Wenter, Bozen, über zivil- und strafrechtliche Aspekte von Unfällen in Italien von der Thematik her sicherlich herausgeragt hat. Dem einen oder anderen Kollegen, der bisher meinte, auf der Basis der 4. KH-Richtlinie der EU einen solchen Schadensfall in Italien „mal so eben“ von hier aus abwickeln zu können, ist es teilweise sicherlich kalt den Rücken hinunter gelaufen. Fazit: Das italienische Schadenersatzrecht weist derart viele Besonderheiten und Abweichungen etwa vom deutschen Recht auf (namentlich Anspruchsinhaber und Höhe der Ansprüche!), dass solche Versuche ohne profunde Kenntnis des italienischen Rechts nach Erfahrung des Referenten in nahezu allen Fällen zwangsläufig in Haftungsfällen enden müssen. Hier wird im Zweifelsfall zu Lasten der eigenen Mandanten in einem Umfang Geld verschenkt, dass einem sprichwörtlich die Augen tropfen. Fazit: Finger weg von der Eigenbearbeitung solcher Mandate und Befragung (besser: Einschaltung) eines italienischen Kollegen, der weiß, wie es richtig geht. Deutschsprachige Kollegen etwa in Bozen sind hier nicht unbedingt die falsche Anlaufstelle.“