Fachbeitrag 21.01.2016

(K)ein Pflichtteilsrecht in Australien?


Australien kennt, wie der gesamte Commonwealth, im Erbfall grundsätzlich kein Pflichtteilsrecht. Dies war und ist immer wieder Anlass für Menschen, ihr Vermögen in die betreffenden Länder zu verschieben um Pflichtteilsberechtigte leer ausgehen zu lassen. Gerichte und Gesetzgebung geben dem Wissenden jedoch teilweise Möglichkeiten an die Hand, um dennoch zu ihrem Recht zu kommen.

Der Bundesstaat New South Wales von Australien mit Hauptstadt Sydney z.B., hat mit dem Succession Act 2006 die sogenannte Family Provision Claim etabliert. Hiernach können bestimmte Personen, die zu dem Verstorbenen in einem bestimmten Näheverhältnis gestanden haben, gegen den Nachlass einen Anspruch auf Versorgung (Provision) geltend machen.

Dieser Anspruch richtet sich entgegen dem deutschen Pflichtteil oder des französischen oder spanischen Noterbrecht (réserve bzw. legítima) nicht auf eine feste Quote. Vielmehr werden alle Einzelheiten des jeweiligen Falles und insbesondere die Einkommens- und Vermögenssituation des Betroffenen berücksichtigt, um eine für alle Beteiligte angemessene Lösung zu finden.

Wie hoch der Betrag ist, der im Einzelnen zugesprochen wird, liegt im Ermessen des Gerichts und kann durchaus beträchtlich sein.

 

Anwendbarkeit des Succession Act 2006

Das Gesetz und diese Ausführungen beziehen sich grundsätzlich auf Erbfälle nach dem 01.03.2009. Für Fälle vor diesem Datum gilt eine andere Regelung mit teils Ähnlichkeiten, teils wichtigen Unterschieden.

Das Gesetz sieht eine Frist vor, nach der die Klage innerhalb von 12 Monaten ab dem Erbfall erhoben werden muss. Das Gericht kann eine verspätete Klage jedoch zulassen, wenn eine ausreichende Begründung für diese Verspätung vorgetragen wird. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Berechtigte gar nichts von einem Nachlass in Australien wusste, im Ausland lebt oder gesundheitlich beeinträchtigt war.

Die Family Provision Claim ersucht vom Gericht eine Zahlungsanordnung aus dem Nachlass für den Lebensunterhalt, die Ausbildung und das Vorankommen im Leben. Dies betrifft auch die Versorgung im Alter.

 

Berechtigte Person, eligible person

Nur die berechtigten Personen, die eligible persons, können sich mit dieser Klage an das Gericht wenden:

  • Der überlebende Ehegatte
  • Der überlebende Lebensgefährte (de facto relationship)
  • Ein Kind der verstorbenen Person
  • Frühere Ehegatten
  • Eine Person, die zu irgendeiner Zeit teilweise oder vollständig von dem Verstorbenen abhängig war, und ein Enkelkind des Verstorbenen ist oder zu irgendeiner Zeit ein Mitglied seines Haushalts war. Eine Person, die mit dem Verstorbenen zur Zeit dessen Todes in einem engen persönlichen Verhältnis gelebt hat.

 

Testament, gesetzliche Erbfolge, ungenügende Versorgung

Innerhalb des Verfahrens werden zwei Fragen betrachtet:

  1. Liegt infolge des Testaments (will) oder infolge der gesetzlichen Erbfolge (intestacy rules) nur eine ungenügende Versorgung für Unterhalt, Alter, Ausbildung und Vorankommen im Leben vor? Dies wird nach den Fakten des Falles beurteilt.
  2. Wenn ja, welcher Betrag sollte aus dem Nachlass für den Berechtigten aufgewendet werden? Dies ist eine reine Ermessensentscheidung des Gerichts, die sich an dem Bedarf des Berechtigten orientiert.

 

Entscheidungsfaktoren

Das Gericht wird folgende Punkte für seine Entscheidung berücksichtigen:

  • das familiäre Verhältnis zwischen Verstorbenem und Berechtigtem,
  • familiäre Verpflichtungen des Verstorbenen gegenüber dem Berechtigten und jeder anderen Person,
  • Art und Umfang des Nachlasses sowie etwaiger Schulden oder Verpflichtungen,
  • Die Person oder (wohltätige) Organisation, die den Nachlass sonst erhält,
  • Die finanziellen Mittel und Bedürfnisse des Berechtigten in Gegenwart und Zukunft,
  • Jede Form von körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigung des Berechtigten,
  • Das Alter des Berechtigten,
  • Den Beitrag, den der Berechtigte zu dem Gewinn, Erhalt und Wachstum des Vermögens und Nachlasses der verstorbenen Person geleistet hat,
  • Jede Versorgung, die der Berechtigte einst für den Verstorbenen geleistet hat,
  • Jeden Hinweis auf einen testamentarischen Willen des Verstorbenen, den Berechtigten zu bedenken,
  • Ob der Berechtigte von einer anderen Person versorgt werden kann,
  • Den Charakter, das Verhalten und die Lebensführung des Berechtigten,
  • Aboriginal oder Torres Strait Islander Gewohnheitsrecht,
  • Und jeden anderen Faktor, den das Gericht für relevant hält.

 

Verfahrensfragen

Das Gericht kann, soweit der Nachlass ausreichend ist um die Family Provision Claim zu tragen, die Zahlung eines Betrages, Mehrfachzahlungen, Zuspruch bestimmter Vermögensbestandteile oder jede andere Art der Versorgung anordnen.

Üblicherweise verweist das Gericht die Beteiligten zunächst an die Mediation. Eine staatliche Mediation wird bei geringeren Vermögen angeordnet, eine private Mediation bei umfangreicheren Nachlässen. Hier werden zunächst in einem sogenannten Position Paper von jeder Seite ihre Sicht des Falles dargestellt, so dass eine Verhandlungsgrundlage vorliegt. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird in diesen, einen Tag dauernden, Mediationsverhandlungen eine Einigung gefunden. Sofern diese vom Gericht genehmigt wird, ist das Verfahren beendet.

Kommt keine Einigung zustande, so muss von beiden Seiten bei Gericht eine förmliche Stellungnahme in Form eines sogenannten Affidavit eingereicht sowie Beweise und Belege beigefügt werden. Das Gericht entscheidet dann über den weiteren Fortgang des Verfahrens. Eine Einigung oder erneute Mediation ist grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens möglich.

 

Kombination mit Testamentsanfechtung

Die Family Provision Claim kann parallel mit einer Testamentsanfechtung, einem Antrag auf Widerruf des Erbscheins (Revocation of Grant of Probate) oder einem Verfahren zur Auslegung und Berichtigung eines Testaments (rectification of will) im Rahmen von Probate Proceedings (Erbscheinsverfahren) geführt werden. Stellt sich später heraus, dass der Berechtigte aufgrund des Testaments oder dessen Auslegung nichts erhält, so hat er wenigstens den Anspruch aus der Family Provision Claim.

Im Interesse aller Beteiligten kann in einer solchen Kombination aus Verfahren eine einzige Mediation einberufen werden, um alle Aspekte zwischen den Beteiligten in einem Termin zu klären und zu regeln.

 

Kosten

Die Kosten für die Durchführung eines solchen Verfahrens setzen sich zusammen aus den Gerichtskosten, den Mediationskosten, den Rechtsanwaltkosten und gegebenenfalls den Übersetzungs- und Reisekosten. In der Mediation wird in der Regel eine Vereinbarung über die Kostentragung getroffen. Im Falle einer Gerichtsentscheidung setzt dieses eine Kostenverteilung fest.

Gerichtsverfahren können kostenintensiv sein. Kann der Berechtigte auch mit Hilfe seiner Bank die laufenden Kosten bis zur Auszahlung des festgesetzten Betrages nicht aufbringen, so kann sich die Zusammenarbeit mit einem Prozesskostenfinanzierer empfehlen. Bei diesen Fragen helfen wir Ihnen.

 

Unser Vorgehen, Ihr Ergebnis

Im Gespräch mit Ihnen ermitteln wir, ob Sie zu dem berechtigten Personenkreis gehören, wie die Umstände Ihres Falles sich gestalten im Hinblick auf einen möglichen Anspruch und ermitteln Ihren gegenwärtigen und zukünftigen Bedarf. Idealerweise können wir bereits Informationen über den Nachlass nutzen. Vielleicht gibt es sogar bereits ein laufendes Verfahren betreffend den Nachlass. Mit Ihnen zusammen legen wir fest, welche Schritte zu gehen sind und wie die grundsätzliche Strategie in Ihrem Fall aussehen wird. Kompetente Kollegen unterstützen uns vor Ort.

Bei einem komplexen internationalen Erbfall, wo das Vermögen des Verstorbenen auf mehrere Länder verteilt ist, erarbeiten wir mit Ihnen eine Strategie für die erfolgreiche Durchführung aller nötigen und Gewinn bringenden Schritte.  In der Regel werden auch Ansprüche, die in einem anderen Land geltend gemacht werden (müssen), auf die Family Provision Claim Auswirkungen haben. Daher ist eine Abstimmung der unterschiedlichen Schritte und Verfahren in mehreren Ländern sehr wichtig.

 

Hinweis:

Diese Ausführungen sind zur grundsätzlichen Information gedacht. Bitte beachten Sie, dass eine konkrete anwaltliche Beratung zur Ermittlung Ihrer Ansprüche notwendig ist und für jeden einzelnen Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann.

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Autor

Rechtsanwalt
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