Fachbeitrag 06.08.2012

GESTATTEN SIE, EINE FRAGE – WISSEN SIE, WAS DAS KINDESWOHL IST?


Mit schöner Regelmäßigkeit findet sich in sämtlichen gerichtlichen Entscheidungen, Kinderangelegenheiten betreffend, in der Begründung, dass gerade in diesem speziellen Fall das Eine oder das Andere für das Kindeswohl den Ausschlag gegeben habe. Genauer beleuchtet wird das Kindeswohl aber ebenso unterschiedlich ausgelegt, wie Eltern eben unterschiedliche Erziehungsstile haben oder Richter etwas für angemessen erachten.

Im guten alten ABGB ist festgehalten, dass die Eltern für die Erziehung zu sorgen und das Wohl der Kinder zu fördern haben. Dafür haben Eltern und Kinder einander beizustehen, die Kinder jedoch ihren Eltern Achtung entgegenzubringen.

Moderner mutet da schon der Absatz 4 des § 137 ABGB an, wonach jede im gemeinsamen Haushalt lebende volljährige Person, die in einem familiären Verhältnis zu einem Elternteil steht, alles dazu beitragen muss, um das Kindeswohl zu schützen. Anlassfälle für diese Gesetzgebung gab es genug, andererseits stärkt dies auch die Patchwork-Familien.

Wissenschaftlich betrachtet sollen die physisch-materiellen Grundbedürfnisse des Kindes abgesichert, auf die Entwicklungsmöglichkeiten Bedacht genommen und die wertschätzende Familienbeziehung gefördert werden.

Neulich hatte sich der Oberste Gerichtshof (5 Ob 173/11v) wieder einmal mit der Frage auseinanderzusetzen, was für das Kindeswohl das Beste ist, wenn ein (geschiedener) Elternteil übersiedelt und der andere Elternteil dadurch in Gefahr gerät, dass die Beziehung auf Grund einer räumlichen Entfernung gegen Null schwindet. So wird einerseits erkannt, dass es ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung ist, dass Eltern mit ihren Kindern „persönlich verkehren“ dürfen, sprich es regelmäßig sehen. Als Interessensabwägung wurde das Recht des „verziehenden“ Elternteiles gesehen, zu bestimmen, wo er wohnen möchte. Es gibt kaum Fälle, wo durch eine Übersiedlung nicht eine Erschwerung der Besuchskontakte stattfindet, dennoch wird ständig judiziert, dass dies grundsätzlich vom anderen Elternteil hingenommen werden muss, ebenso auch der große finanzielle und zeitliche Aufwand.

Der „Besuchsberechtigte“ hat nicht nur die Kosten der Anreise alleine und ohne Berücksichtigung Unterhalt zu leisten, sondern muss auch noch das Kind vom gewöhnlichen Aufenthaltsort abholen. Als große Errungenschaft wird da schon gefeiert, dass der Oberste Gerichtshof (3 Ob 84/11s) nunmehr erkannt hat, dass es zumindestens zumutbar sei, das Kind zum Flughafen zu bringen, wenn der andere Elternteil 700 km weit weg wohnt.

Weit weniger auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde allerdings in einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes(3 Ob 196/11m) hinsichtlich des Auftrages des Erstgerichtes regelmäßig Mediation in Anspruch zu nehmen – und zwar zur Herstellung einer konfliktfreien Kommunikation zwischen den Eltern. In diesem Fall hat sich das Verfahren jahrelang gezogen und sich die Mutter immer wieder geweigert dazu beizutragen, die offensichtlich bestehenden Spannungen mit Hilfe eines Mediators zumindestens soweit einzudämmen, dass das Kind nicht Schaden nimmt. Dennoch blieb der Oberste Gerichtshof bei seiner Meinung, dass gegen den Willen eines Elternteils Mediation nicht angeordnet werden kann – mag diese auch zweckmäßig (hic !) und dem Kindeswohl dienlich erscheinen!

Ich wäre der Meinung gewesen, dass die so hohe Anforderung dem Kindeswohl Genüge zutun, wohl auch umfassen kann, dass sich Eltern wohl verhalten, insbesondere bei ihrer eigenen Kommunikation, welche ja letztlich auch Vorbildwirkung haben sollte. Aber streng dem Gesetzwortlaut nach, hat der Oberste Gerichtshof wohl wie immer Recht.

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Rechtsanwalt
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