Die Verordnung EG Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen ist am 18. Juni 2011 in allen Mitgliedstaaten in Kraft getreten.
Mit dieser Verordnung werden folgende EG-Verordnungen und internationale Übereinkommen dahin gehend geändert, dass deren für Unterhaltssachen geltende
Bestimmungen ersetzt werden :
– die Verordnung EG Nr. 44/2201 des Rates vom 22. Dezember 2000 betreffend die Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und betreffend die Schweiz, Norwegen und Island das Luganer Übereinkommen;
– die Verordnung EG Nr. 805/2004 des Rates vom 21. April 2004 über als
Europäische Vollstreckungstitel bestätigte vollstreckbare Entscheidungen; sie ist jedoch weiterhin anwendbar auf in dem Vereinigten Königreich als Europäische Vollstreckungstitel bestätigte Titel, weil Entscheidungen dieses Mitgliedstaates nicht in den Genuss der Abschaffung der exequatur kommen.
Im Gegensatz zu der Brüssel-I-Verordnung, die nur Anwendung findet, wenn mindestens die Gegenpartei ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in einem Mitgliedstaat hat, ist die neue Verordnung ratione loci nicht begrenzt; sie ist anwendbar, sobald sich eine Zuständigkeitsregel auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates realisiert.
Das zukünftig auf Unterhaltssachen anwendbare Recht, ergibt sich in Verbindung mit der neuen Verordnung aus dem Haager Protokoll vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung von Kindesunterhalt und sonstigen Formen von Familienunterhalt. Es ersetzt die Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 und vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsansprüche angewendete Recht. Das Protokoll hat einen universellen Anwendungsbereich,
d.h. es ist auch anwendbar, wenn das darin bezeichnete Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaates ist.
Die neue Verordnung gilt in allen Mitgliedstaaten, da ebenfalls das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark an sie gebunden sind, wogegen das Haager Protokoll über das anwendbare Recht keine Anwendung findet im Vereinigten Königreich und in Dänemark; anwendbar ist es jedoch in Irland.
Das Haager Protokoll ist ab dem 18. Juni 2011, der Text, nachdem sich das auf Unterhaltssachen anwendbare Recht ermittelt.
Die Verordnung und das Protokoll sehen insbesondere folgende Neuerungen vor :
– die Parteien können eine Gerichtstandklausel vereinbaren; jedoch kann nur eine
begrenzte Anzahl von Gerichten vorgesehen werden; für Unterhaltsansprüche betreffend Kinder unter 18 Jahren sind diese Klauseln ausgeschlossen. Die Wahl
bedarf der Schriftform (Artikel 4 der Verordnung).
– die Parteien können das anzuwendende Recht wählen; auch hier ist die Wahl begrenzt und kann nicht auf Unterhaltsansprüche für Kinder unter 18 Jahren
getroffen werden. Auch hier ist die Schriftform zwingend (Artikel 7 des Protokolls).
– Unterhaltsentscheidungen sind in den Mitgliedstaaten, außer England und Dänemark ohne exequatur vollstreckbar,
– eine Zusammenarbeit zwischen zentralen Behörden der Mitgliedstaaten zur Erleichterung der Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen ist vorgesehen. Der unter 21 Jahre alte Gläubiger soll in allen Phasen der Vollstreckung systematisch in den Genuss einer kostenlosen Prozesskostenhilfe kommen.
Die Mitgliedstaaten haben im Rahmen der Alimenteneintreibung den Zentralen Behörden eine sehr wichtige Aufgabe übertragen. Auf Antrag des Gläubigers
und seiner Zentralen Behörde, soll die Behörde des Mitgliedstaates des ge-
wöhnlichen Aufenthaltsorts des Schuldners dem Gläubiger helfen, den Schuldner zu lokalisieren, Informationen über seine Einkünfte und sein Vermögen ausfindig zu machen und die Geltendmachung und Zahlung der Alimente zu vereinfachen.
Im Augenblick sind die Texte zumindest, was die Vollstreckung betrifft, nicht praktikabel, da
– noch nicht feststeht, welche Zentrale Behörde in den einzelnen Mitgliedstaaten zuständig ist,
– da ebenfalls noch unklar ist, wer zuständig ist, um die in der Verordnung
– vorgesehenen Zertifikate zu vervollständigen und zu unterzeichnen.
– Auch über die Prozesskostenhilfe, die in der Verordnung vorgesehen und nicht von der nationalen Gesetzgebung umfasst ist, gibt es im Augenblick noch keine neuen Texte.
Die Verordnung und das Protokoll sind keine einfachen Texte; ihre Komplexität macht es auch dem Fachmann noch lange nicht leicht, alle Subtilitäten zu erfassen.
Es wird noch Zeit brauchen, bis diese dem Unterhaltsgläubiger schutzgewährenden Texte einigermaßen zufrieden stellend angewendet werden können.
Die Zusammenarbeit nicht nur der Zentralen Behörden, sondern auch der Fachleute aller beteiligten Staaten ist hier besonders geboten. Es braucht deshalb nicht betont zu werden, dass anwaltliche Hilfe für den Mandanten unerlässlich ist.
Margot Felgenträger
Avocat à la Cour d’Appel de Paris