Fachbeitrag 08.03.2010

Der Auskunftsanspruch gegen den Provider nach ? 101 UrhG


oder: Wie die Abmahner Sie finden!
 

Filesharing-Clients, Tauschbörsensoftware, Illegaler Download, IP-Adressen, WLAN, Hash-Wert… alles technisch, alles Englisch und für viele Internetnutzer bzw. Unternehmer böhmische Dörfer. Der lange Weg von der Rechtsverletzung zur Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzungen beginnt bei der IP-Adresse, die einen Tauschbörsennutzer in der Tauschbörse zu erkennen gibt.

Im Internet tritt niemand unter seinem wirklichen Namen auf. Es gibt keine Möglichkeit festzustellen, wer zu welchem Zeitpunkt im Internet welche Handlung vornimmt. Was allerdings festgestellt werden kann ist, unter welcher IP-Adresse die jeweilige Handlung vorgenommen wurde.

Wenn Sie wissen wollen, unter welcher IP-Adresse Sie gerade im Internet unterwegs sind, dann schauen Sie doch mal hier: http://www.wieistmeineip.de/.
 
Eine IP-Adresse (insbesondere eine dynamische IP) ist nicht vergleichbar mit einem Namen, sondern eher mit einer Anschrift. Der Unterschied liegt darin, dass jeder Mensch nur einen Namen haben kann, aber beliebig viele Menschen sich eine Postanschrift teilen können.

Die Hauptvergabe von IP-Adressen im Internet wird von einer, wie sollte es anders sein, amerikanischen Behörde (IANA) geregelt. Ihre IP-Adresse wird Ihnen aber in der Regel von Ihrem Internet Service Provider (ISP, z.B. Deutsche Telekom, NetCologne, T-Online) bei jeder Einwahl zugewiesen und ist fast immer unterschiedlich. Der Internet-Provider hat eine gewisse Anzahl an IP-Adressen, die er ständig neu vergibt. Da nicht alle Kunden immer gleichzeitig online sind, kann der Provider weniger Adressen benutzen, als er Kunden hat.

Bei dynamisch vergebenen IP-Adressen ist der Personenbezug daher nicht unbedingt sofort gegeben. Nur aufgrund der Protokollierung der Vergabe kann der Provider auch noch im Nachhinein nachvollziehen, welcher seiner Kunden wann unter welcher IP-Adresse zu erreichen war.

Anders verhält es sich mit sog. statischen IP-Adressen, die – wie der Name bereits andeutet – bestehen bleiben und nicht neu zugeordnet werden.

Aber auch bei statischen IP-Adressen kann niemand über das Internet nachvollziehen, wer gerade mit seinem PC diese IP-Adresse nutzt.

Während die Router über IP-Adressen kommunizieren und damit ein Netzwerk bilden, befindet sich hinter jedem Router ein weiteres Netzwerk (LAN, WLAN) in dem die verschiedenen PC auf den Router und damit auf das Internet zugreifen.

Und jeder PC kann von einer beliebigen Vielzahl von Personen benutzt werden.

Selbst also, wenn Sie einen PC sicherstellen würden, auf dem nachzuweisen ist, dass zu einer bestimmten Uhrzeit eine bestimmte Handlung im Internet über diesen PC vorgenommen wurde, wüssten Sie nicht automatisch, welche Person den PC bedient hat.

Da alles das im Kampf gegen den Terrorismus und die Internetkriminalität hinderlich für die Ermittlung von Verbrechern ist, hat die Staatsanwaltschaft das Recht unter bestimmten Voraussetzungen die Anschrift eines Anschlussinhabers bei dem Provider zu erfragen, bei Hausdurchsuchungen Computer sicherzustellen und Personen bei der PC-Nutzung zu überwachen.

Ob der Staatsanwalt die Daten von dem Provider erhält, ist davon abhängig, ob dieser die Daten gespeichert hat.

Der Provider darf zur Durchführung des Vertragsverhältnisses Bestandsdaten (Rufnummer, Postadresse, E-Mail Adresse) seiner Kunden nach § 95 Telekommunikationsgesetz (TKG) speichern. Rufnummer, Name, Anschrift und Geburtsdatum seiner Kunden muss der Provider zudem nach § 111 TKG speichern, um sie ggf. an die staatlichen Ermittlungsbehörden herausgeben zu können.

Eine Speicherung von Verkehrsdaten (Nummer/Kennung der beteiligten Anschlüsse/Endeinrichtung, personenbezogene Berechtigungskennungen, bei Verwendung von Kundenkarten auch die Kartennummer, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten, Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit und, soweit die Entgelte davon abhängen, die übermittelten Datenmengen) zu Abrechnungszwecken ist nach §§ 96, 97 TKG zulässig. Der Provider muss jedoch unverzüglich alle Verbindungsdaten löschen (§§ 96, Abs. 2 S. 2 TKG), wenn er die Daten nicht mehr zur Abrechnung benötigt. Bei einer Flatrate muss also immer unverzüglich nach Ende der Verbindung gelöscht werden. Trotzdem speichern die Unternehmen die Daten offenbar auch bei Flatrate-Kunden für längere Zeiträume, als es erforderlich ist.

Dass dies rechtswidrig ist, führt erstaunlicherweise in der Folge aber nicht zu einem Verwertungsverbot für einen späteren Zivilrechtsprozess, wie sich dem Beschluss des OLG Zweibrücken entnehmen lässt (Beschluss v. 16.10.2008, Az.: 4 W 62/08) – Leitsätze:

1. Wenn der Provider die Identität des zu einem bestimmten Zeitpunkts zu einer IP-Adresse zugeordneten Nutzers mitteilt, handelt es sich dabei um die Mitteilung eines “Bestandsdatums” i.S.v. §§ 3 Nr. 3, 111 Abs. 1 Satz 1 TKG.

2. Die Mitteilung, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt der Nutzer eine dynamischen IP-Adresse war, verletzt weder das Grundrecht des Anschlussinhabers auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG noch sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Etwas anders ergibt sich insbesondere auch nicht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur “Vorratsdatenspeicherung” (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.03.2008 – Az. 1 BvR 256/08).

3. Bei rechtmäßiger Weitergabe der Daten scheidet somit ein Beweisverwertungsverbot im Verfahren zur Durchsetzung zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche aus.

Entgegen dem Gesetzeswortlaut (!) wird hier der IP-Log (eigentlich Verkehrsdatum) und die spätere Verknüpfung mit den Bestandsdaten (Name, Adresse des Anschlussinhabers) als reines Bestandsdatum qualifiziert. Das ist eine bestenfalls als juristisch abenteuerlich zu qualifizierende Auslegung des OLG Zweibrücken. Für das OLG heiligt offensichtlich der Zweck die Mittel.

Der Provider muss die gespeicherten Daten nach § 113 TKG auf Verlangen an die Staatsanwaltschaft herausgeben. Hierfür reicht als Grund aus, dass die Auskunft „für die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes erforderlich ist.”

Vor der Novelle des TKG waren viele der Ansicht, dass, wenn mit einem Verkehrsdatum (z.B. der IP-Adresse) Auskunft über Bestandsdaten (Name, Adresse des Kunden) verlangt wird, eine einfache Bestandsdatenabfrage nach § 113 TKG nicht ausreicht. Die Auskunft über Informationen im Zusammenhang mit Verkehrsdaten sei durch richterliche Anordnung (in eiligen Fällen durch die Staatsanwaltschaft) nach §§ 100 g, 100 b Strafprozessordnung (StPO) anzuordnen. Dann wäre eine Abfrage aber nur zur Verfolgung von schweren Straftaten zulässig.

Die Meinung, dass § 113 TKG für die Abfrage ausreicht, wird inzwischen durch den neuen § 113 b 2. HS TKG gestützt, der eine Auskunftserteilung nach § 113 TKG anhand von Verkehrsdaten, die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung gespeichert wurden, zulässt.

Das Landgericht Offenburg hat dementsprechend am 17.04.2008 (Az.: 3 Qs 83/07, lesenswert auch die Ausgangsinstanz AG Offenburg, Beschluss v. 20. Juli 2007, Az. 4 Gs 442/07) entschieden, dass sich die Auskunftserteilung an die Staatsanwaltschaft nach § 113 TKG richtet und eine richterliche Anordnung nach § 100 g StPO nicht erforderlich sei.

In 2005 haben das OLG Hamburg und das OLG München entschieden, dass eine Weitergabe solcher Daten an Private (= Rechteinhaber) mangels Ermächtigungsgrundlage für einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch ausgeschlossen ist.

Vor der Einführung des zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs gegen den Provider musste der Rechteinhaber, bzw. sein Anwalt, also den Umweg über das Strafverfahren gehen und Anzeige gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft erstatten. Der Staatsanwalt hat dann bei dem Provider die Adresse des vermeintlichen Tauschbörsennutzers erfragt und der Rechteinhaber konnte als Anzeigeerstatter über seine Anwälte ein Akteneinsichtsrecht geltend machen (§ 406 e StPO, dieses Recht steht nur dem Rechtsanwalt und nicht seinem Mandanten selbst zu).

Zu diesem Zeitpunkt war der Aufwand, um an einen einzelnen Rechtsverletzer zu gelangen, relativ hoch.

Dies hat viele sog. Abmahnanwälte allerdings nicht davon abgehalten namens und kraft Vollmacht ihrer Mandanten massenhaft Tauschbörsennutzer anzuzeigen.

Bereits in 2006 führte das zu einer völligen Überlastung der Staatsanwaltschaften.

Bei der Staatsanwaltschaft in Karlsruhe gingen bereits in der zweiten Jahreshälfte in 2005 rund 40.000 Strafanzeigen wegen illegaler Kopien von Musik, Software und PC-Spielen ein (überwiegend wohl von der Kanzlei Nümann + Lang). Ähnlich ging es den Staatsanwaltschaften in Frankfurt (Kanzlei Kornmeier) und Hamburg (Kanzlei Rasch).

Allein das Registrieren der Fälle verursachte in Karlsruhe einen derart großen Aufwand, dass zusätzlich Polizeibeamte dafür eingesetzt wurden. 9000 Fälle waren Anfang 2006 abgearbeitet und endeten regelmäßig mit der Einstellung des Verfahrens. Bei einem einmaligen Download eines Songs ist nach allgemeiner Ansicht wegen Geringfügigkeit einzustellen. Erst ab mehreren hundert Songs kommen tatsächlich Strafen in Betracht. Die Rechteinhaber hatten an den Strafverfahren auch kein Interesse. Sie waren lediglich das Instrument, um an die Adresse der vermeintlichen Rechtsverletzer zu kommen, um diese dann zivilrechtlich verfolgen zu können, was wesentlich lukrativer war.

Zum Ende hin waren es die Staatsanwaltschaften dann leid. Die ersten Auskunftsverlangen wurden wegen vollkommener Intransparenz der angeblich zum Beweis dienenden Dokumentationen von privaten Ermittlungsfirmen in Form von Screenshots und einfachen Listen abgelehnt (Staatsanwaltschaft Köln im Falle von DigiProtect).

Zu dieser Zeit kam es auch gehäuft dazu, dass Akteneinsichtsrechte verweigert wurden, weil eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall ergab, dass das Recht des Beschuldigten auf Datenschutz höher wog, als das Interesse des Rechteinhabers den vermeintlichen Verletzer zu finden.

Das LG München beispielsweise hat im März 2008 entschieden, dass den Rechteinhabern nicht automatisch ein Recht auf Akteneinsicht zusteht. Die Staatsanwaltschaft habe in diesem Fall zu Recht die Akteneinsicht verweigert, da es nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sei, den Rechteinhabern die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen zu ermöglichen. Für den Anschlussinhaber spreche erst mal die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK.

Gerade die Pornoindustrie hat sich das Geschäft mit der kostenpflichtigen Abmahnung zu Nutze gemacht, da hier natürlich besonders empfindliche Interessen des Nicht-Entdecktwerdens berührt waren. Ob man es glaubt oder nicht, das menschliche Schamgefühl hält die Beschuldigten sogar davon ab, zum Anwalt zu gehen. Besonders hier haben die Staatsanwaltschaften dann reagiert und der Gefahr entgegengewirkt, dass der Anschlussinhaber ohne irgendwelche Anhaltspunkte als derjenige dasteht, der am illegalen Pornotausch über das Internet teilgenommen hat.

Auch heute wird in den Abmahnungen der Pornoindustrie darauf hingewiesen, dass der Abgemahnte an der illegalen Verbreitung jugendgefährdender Werke teilgenommen hat und sich dadurch strafbar gemacht hat, nur damit der Abgemahnte aus Angst vor der Strafanzeige schnell zahlt.

Mit dem am 01.09.2008 eingeführten zivilrechtlichen Auskunftsanspruch nach § 101 Urhebergesetz (UrhG) wurden die Staatsanwaltschaften aus ihrer neuen Rolle als Handlanger der Entertainmentindustrie wieder „erlöst”.

Jetzt können die Rechteinhaber direkt mit ihren Screenshots und Listen, von denen man ja bei den meisten Kanzleien nur vermuten kann, dass es sie tatsächlich gibt, zu einem beliebigen Landgericht in Deutschland gehen und dort eine Auskunftsanordnung gegen den Provider erwirken.

Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass nach europäischen Vorgaben ein solcher zivilrechtlicher Auskunftsanspruch keinesfalls zwingend gewesen wäre.

Der Europäische Gerichtshof hat am 29.01.2008 entscheiden, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht verpflichtet sind, im zivilrechtlichen Verfahren einen Auskunftsanspruch der Rechteinhaber der Musikwerke gegen den Internetprovider vorzusehen.

In diesem Fall hatte sich ein spanischer Telekommunikationsdienstleister geweigert, Vereinigungen von Produzenten und Herausgebern von Musikaufnahmen die Daten seiner Kunden herauszugeben, die angeblich Filesharing betrieben haben sollten.

Der TK-Anbieter berief sich darauf, dass nach spanischem Recht die Herausgabe von Daten zwar in einem Strafverfahren zulässig sei, nicht jedoch im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens.

Nach Ansicht des EuGH sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Vertraulichkeit personenbezogener Daten zu sichern. Hiervon könnten auch für ein zivilrechtliches Verfahren Ausnahmen erlassen werden. Eine Pflicht bestünde jedoch nicht (EuGH, Urteil vom 29.01.2008, Az.: C 275/069).
 
Der Auskunftsanspruch gegen den Provider greift – wenn auch nicht nach Ansicht des LG Offenburg (s.o.) – in die in Art. 10 GG garantierte Unverletzlichkeit der Kommunikationsfreiheit ein. Aus diesem Grund bedarf er in Deutschland zumindest der richterlichen Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG. Zuständig sind die Landgerichte.

Die Zivilrechtskammern der Landgerichte sehen sich jetzt mit demselben Problem konfrontiert wie einst die Staatsanwaltschaften. Die Masse an Anfragen kann nicht mehr bearbeitet werden.

Das Landgericht Köln verzeichnete bis Ende 2008 lediglich 82 Anträge. Dies mag daran gelegen haben, dass zu dieser Zeit noch weitestgehend von dem Auskunftsverfahren über die Staatsanwaltschaften (s.o.) Gebrauch gemacht wurde. Im Jahr 2009 sind dann bis September 2824 Anträge eingegangen. Die Anzahl der von einem Antrag umfassten IP-Adressen schwankte laut Aussage des Vorsitzenden Richters am Landgericht Köln gegenüber der Zeitung c’t „von 15 bis zu 3500″. Im Oktober 2009 hat das Landgericht Köln in einem Beschluss die Auskunft zu mehr als 11.000 IP-Adressen von Telekom-Kunden wegen Verdachts des illegalen Uploads eines Songs in Tauschbörsen genehmigt (vgl. „Die Abmahnindustrie” von Holger Bleich, erschienen in c’t 2010, Heft 1, S. 154- 157). In einem anderen Beschluss des Landgerichts Köln vom 10.06.09 waren es beispielsweise 3641 IP-Adressen.

Das Landgericht Köln stellt sich nun für 2010 auf eine Flut von Auskunftsansprüchen ein, was besondere Auswirkungen auf den Geschäftsverteilungsplan hat.

Nachdem in 2009 ursprünglich ausschließlich die 9 Zivilkammer für das Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG zuständig gewesen ist, und in dieser Funktion dann buchstäblich „abgesoffen” ist, wurde die Hilfskammer 9 a eingerichtet und die Kammern 13, 31 und 33 kamen zur Hilfe. Ob die Änderung des Geschäftsverteilungsplans im laufenden Kalenderjahr mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter vereinbar war, ist fraglich, soll hier aber nicht weiter thematisiert werden.

Viel interessanter ist, dass das Landgericht sich jetzt faktisch selbst zum Schwerpunktgericht für Auskunftsansprüche gemacht hat.

Für das Jahr 2010 sind die Zivilkammern 9, 13, 31 und 33 ständig mit den Auskunftsverfahren beschäftigt. Daneben bilden die 2., 3., 4., 5., 7., 8., 9., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 20., 21., 22., 23., 24., 25., 26., 27., 28., 29., 30., 31., 32., 33., und 37. Zivilkammer nach Maßgabe der Anlage 3 zur Geschäftsverteilung einen Turnuskreis U ? für das Anordnungsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG.

Obwohl das LG Köln die Rechtsanwaltschaft sonst gerne dazu ermahnt, bitte nicht die Faxanlage des Landgerichts zu „sprengen”, hat man für die Rechteinhaber nun sogar eine eigene Faxnummer installiert. Hierzu heißt es: “Wegen der besonderen Eilbedürftigkeit steht ausschließlich für Anträge nach § 101 UrhG eine separate Telefaxnummer zur Verfügung.”

Bemerkenswert ist das Intro „wegen der besonderen Eilbedürftigkeit”.

Hierbei geht es um die Speicherfristen der Provider, die es den Rechteinhabern nur für ein kurzes Zeitfenster ermöglichen, den Anschlussinhaber herauszufinden. Die Provider speichern die Daten der Kunden zu Abrechnungszwecken nur für einen kurzen Zeitraum. Die Deutsche Telekom speichert die Daten beispielsweise für 7 Tage, NetCologne für 4 Tage.

Die Gerichte haben mittlerweile auch entscheiden, dass nur in einem solchen Zeitraum ein Rechtsschutzbedürfnis für den Auskunftsanspruch besteht.

Die Provider geben jeweils an, die Daten zu Abrechnungszwecken zu speichern. Da die meisten Kunden jedoch heutzutage Flatrate-Verträge abschließen, ist die Speicherung der Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken nicht erforderlich. Demnach wäre schon fraglich, ob die Speicherung nicht hierdurch schon rechtswidrig ist und in der Folge zu einem prozessualen Verwertungsverbot führt.

Die besondere Eilbedürftigkeit hat leider auch zur Folge, dass das Landgericht die Anträge binnen kürzester Frist zu bearbeiten hat, was dazu führt, dass fast alle Anträge ohne jegliche Einzelfallprüfung „durchgewunken” werden. Insgesamt sind jetzt beim Landgericht Köln 28 unterschiedliche Kammern für die Bearbeitung zuständig.

In den hier zulässigen gebündelten Massenverfahren kann der Rechteinhaber in nur einem Beschluss die Genehmigung zur Einholung von mehreren tausend Adressen einholen.

An dem automatisierten Massenverfahren der kostenpflichtigen Abmahnung stört den Anhänger der Rechtsstaatlichkeit so einiges, jedoch im Bezug auf das Auskunftsverfahren insbesondere Folgendes:

Auch das Landgericht Köln arbeitet, wie die Abmahnanwälte, ausschließlich mit dem Bausteinprinzip. Alle uns vorliegenden Beschlüsse gehen mit keinem Wort auf den Einzelfall ein. Die IP-Adressen werden in dem Beschluss als Anlage 1 erwähnt, liegen der Abmahnung aber nicht an.

Die Beschlüsse sind nicht durch den BGH überprüfbar!

Obwohl es gehäufte Anzeichen dafür gibt, dass die Ermittlungsmethoden der Anti-Piracy Firmen nicht korrekt sind und es in Massenverfahren an verschiedenen Stellen zu Zahlendrehern gekommen ist und der Anschlussinhaber in den meisten Fällen nicht der Täter ist, werden fast alle Anträge ohne vorherige Prüfung „durchgewunken”.

In § 101 Abs. 1 UrhG heißt es: „Wer in gewerblichem Ausmaß das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der rechtsverletzenden Vervielfältigungsstücke oder sonstigen Erzeugnisse in Anspruch genommen werden. Das gewerbliche Ausmaß kann sich sowohl aus der Anzahl der Rechtsverletzungen als auch aus der Schwere der Rechtsverletzung ergeben.”

In § 101 Abs. 7 UrhG heißt es dann weiter: „In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden.”

Obwohl man berechtigte Zweifel daran haben kann, dass in jedem einzelnen Fall eine offensichtliche Rechtsverletzung des Anschlussinhabers gegeben ist, da es ebenso wahrscheinlich ist, dass nicht der Anschlussinhaber, sondern Ehegatten, Kinder, Kunden, Arbeitnehmer, Freunde, Hacker oder andere die Rechtsverletzung über den Anschluss des Inhabers begangen haben, oder auch überhaupt niemand (s.o.), prüft das Gericht den Einzelfall nicht. Da solche Konstellationen in die Beweisaufnahme führen, sind sie ohnehin lästig und werden auch im Hauptsacheprozess gerne mit dem Wort „Schutzbehauptung” abgeschmettert.

Die Anwälte der Rechteinhaber legen lediglich Listen oder Screenshots vor, auf denen die IP-Adressen zu sehen sind. Von hier zu der Annahme, dass jeder Anschlussinhaber den Download selbst vorgenommen hat, ist es bei Beachtung des Prozessrechts ein weiter Weg.

Nach überwiegender Ansicht kann eine „offensichtliche Rechtsverletzung” nur dann angenommen werden, wenn eine ungerechtfertigte Belastung eines Dritten (Anschlussinhaber) ausgeschlossen werden kann. Dabei würden Zweifel in tatsächlicher, aber auch in rechtlicher Hinsicht die Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung ausschließen (LG Köln, Beschluss v. 30.04.2009, Az.: 9 OH 388/09).

Das OLG Köln legt den Gesetzeswortlaut extensiv aus und lässt das objektive Vorliegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung ausreichen. Es könne für den Auskunftsanspruch nicht verlangt werden, dass der ermittelte Anschlussinhaber auch der wirkliche Täter sei!

Das LG Köln hat sich schon Ende 2009 dadurch zum beliebtesten Gericht für die Einholung von Auskunftsanordnungen gemacht, dass es das für den Auskunftsanspruch erforderliche „gewerbliche Ausmaß” bereits dann bejaht hat, wenn nur eine einzelne Datei – also ein Song – getauscht wurde.

Da das „gewerbliche” Ausmaß ebenfalls in der Person des Täters verwirklicht sein muss, ist es schon schwierig, bei einem Auskunftsanspruch zur Ermittlung des Anschlussinhabers sofort von einem gewerblichen Ausmaß auszugehen, wenn noch gar nicht feststeht, ob der Anschlussinhaber tatsächlich auch der Verletzer war und es sogar sehr wahrscheinlich ist, dass er es nicht war.

Auch der Wortlaut des Gesetzes wird einfach missachtet: Die Formulierung „Anzahl der Rechtsverletzungen” besagt schon, dass es sich quantitativ um mehrere Vorgänge gehandelt haben muss, ganz zu schweigen vom Sinn und Zweck der Norm: Wenn beim Download eines Songs bereits das gewerbliche Ausmaß erfüllt ist, wäre die Einschränkung im Gesetz überflüssig. So war das sicher nicht vom Gesetzgeber geplant.

Man stelle sich nur vor, so würde die Qualifikation des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB ausgelegt! Plötzlich wäre jedes einmalige Vorbeischmuggeln eines Schoko-Riegels an der Kassiererin ein Betrug gewerblichen Ausmaßes. An einem solchen Vergleich wird deutlich, welche absurdes Ausmaß die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen mittlerweile angenommen hat.

Zwar liegen solche Verstöße tatsächlich vor, aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollte bei jeder Rechtsverletzung gewahrt werden.

Auch der Begriff der Gewerblichkeit ist längst definiert und müsste eigentlich beachtet werden. Gewerblichkeit liegt dann vor, wenn etwas auf unternehmerische Weise planmäßig mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird. Davon kann bei dem Download einer Datei nicht ansatzweise die Rede sein.

Das „gewerbliche Ausmaß” ist im Urhebergesetz nicht definiert (die Vorschrift wird allein deshalb bereits für verfassungswidrig gehalten, vgl. Braun, jurisPR-ITR 17/2008 Anm. 4 unter D.). Der Gesetzgeber hat den Begriff wörtlich aus der EG-Richtlinie übernommen. Erwägungsgrund 14 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG) stellt bei der Definition des gewerblichen Ausmaßes darauf ab, ob der Verletzer zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils handelt, mit der Folge, dass in der Regel Handlungen ausgeschlossen sind, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden. Die Richtlinie gebietet eine Einschränkung des Auskunftsanspruchs (Jüngel/Geißel MMR 2008, 787), so dass ein Auskunftsanspruch bei gutgläubigem privaten Handeln ausscheidet.

Stellt man auf die Anzahl der Dateien ab, so wird ein gewerbliches Handeln erst ab einer Anzahl von 3.000 Musikstücken oder 200 Filmen angenommen (LG Frankenthal , Beschluss v. 15.09.2008, Az. 6 O 325/08; Braun, jurisPR-ITR 17/2008 Anm. 4 unter D.).

Das Landgericht Darmstadt hat mit Beschluss vom 20.04.2009 festgestellt, dass ein einmaliges Herunterladen eines Filmwerkes oder eines Musikalbums als Bagatelle zu werten ist und deshalb ein Akteneinsichtsrecht versagt (Beschluss vom 20.04.2009, Az. 9 Qs 99/09 = ZUM-RD 8/9/2009, S. 466).

Selbst wenn man allein auf die „Schwere der beim Rechtsinhaber eingetretenen einzelnen Rechtsverletzung” abstellte (vgl. BT-Drucks. 16/8783, S. 50), wäre das Merkmal durch einen einmaligen Up- oder Download eines einzigen Werkes nicht erfüllt (OLG Zweibrücken Beschluss v. 27.10.2008, Az. 3 W 184/08).

Auch wenn man auf die Aktualität und den Verkaufswert abstellt, liegt kein gewerbliches Ausmaß vor, wenn die markrelevante Phase des Musikalbums/Films/PC-Spiels bereits abgeschlossen ist. Ein gewerbliches Handeln kann bei Vorabveröffentlichungen vor der Veröffentlichung auf dem deutschen Markt oder unmittelbar danach angenommen werden. Das OLG Zweibrücken hat für ein drei Monate altes Computerspiel festgestellt, dass es sich nicht um ein so gut am Markt positioniertes Produkt handele, dass die Annahme eines gewerblichen Ausmaßes bereits bei einmaligem Up- oder Download ohne weiteres gerechtfertigt wäre (Beschluss v. 27.10.2008, Az: 3 W 184/08).

Der Gesetzestext wird leider auch an anderer Stelle ignoriert. Die Auskunftsansprüche sind nach § 101 Abs. 4 UrhG ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall „unverhältnismäßig” ist.

Das Kommunikationsgrundrecht des Art. 10 GG muss nach richtiger Auffassung in jedem einzelnen Fall unter Beachtung der spezifischen Umstände mit den Rechten der Anspruchsteller abgewogen werden.

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die Staatsanwaltschaften im Rahmen des Akteneinsichtsrechts durchführten, existiert in den landgerichtlichen Beschlüssen leider nicht mehr.

Der zu Anfang geltende Richtervorbehalt mit den Anforderungen des § 100 g StPO für die staatsanwaltschaftliche Auskunft sowie das generelle Verbot der Weitergabe von Daten an Private, sind Stück für Stück, erst durch Umgehung der Gesetze und dann durch Gesetzesnovellierungen, völlig verschwunden. Die Rechtssprechung und auch die Politik folgt seit einiger Zeit fast blind dem lobbyistischen Getöse der Musik- und Filmindustrie und schraubt ohne viel Begründungsaufwand die Bedeutung des Art. 10 GG weitestgehend zurück. Seit Jahren wird damit argumentiert, dass den Urhebern Einnahmen in Millionenhöhe verloren gehen, weil die Rechtsverletzer ansonsten eine CD oder DVD gekauft hätten. Das ist natürlich blanker Unsinn. In der Mehrzahl der Fälle hätten die privaten Einmalverletzer niemals das eigentliche Werk käuflich erworben, weil es schlicht zu teuer ist. Die einfachste Lösung wäre eine massive Absenkung der Preise für diese Werke, die auch tatsächlich möglich wäre. Dass die Rechteinhaber das nicht wollen, ist klar und nachvollziehbar. Aber die Politik müsste diese Gesichtspunkte bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Und auch die Gericht sollten und könnten es im Rahmen der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe tun.

Das Vorgehen in Massenverfahren wird – zumindest beim LG Köln – jetzt offenbar auch noch unterstützt. Die Anwälte der Rechteinhaber machen für die Kosten des Auskunftsverfahrens in jeder Abmahnung einen Betrag von 200,- € geltend. Bei der oben beschriebenen Vorgehensweise (10.000 IP-Adressen in einem Verfahren) belaufen sich die Kosten pro Anordnung aber nur auf 2 Cent pro Anschlussinhaber.

Das Ärgerliche daran ist, dass hier stets mit der Vermutung gearbeitet wird, der Anschlussinhaber sei auch der Täter, was nachweislich in den meisten Fällen nicht so ist.

Die aktuelle Lage des Anschlussinhabers ist vergleichbar mit der Österreichischen Kfz-Halterhaftung. Der Halter haftet für jede Geschwindigkeitsübertretung nur aufgrund der Tatsache, dass er Halter des PKW ist, also unabhängig davon, ob er den Verstoß auch begangen hat. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist das nicht vereinbar.

Im Bezug auf den Internetanschluss redet die Fachwelt hier von „Störerhaftung”.

Um aber den wirklichen Täter nicht vorschnell aus seiner Haftung zu entlassen, haftet derjenige, der die Gefahrenquelle – also den Internetanschluss – eröffnet hat („Störer”) nur zweitrangig nach dem tatsächlichen Rechtsverletzer.

Außerdem wird seine Haftung dadurch eingeschränkt, dass er zumindest für den konkreten Fall entwickelte Prüfpflichten verletzt haben muss. (Für die von der Rechtssprechung uneinheitlich entwickelten Anforderungen an den Anschlussinhaber gegenüber Dritten, vgl. unseren Artikel:

Die kleine Abmahnfibel, dort unter  „Die Haftung für Dritte – Eingehackt?” und „Die Haftung für Familienangehörige, insbesondere Kinder”)
 
In der Praxis wird aber auf das Prüfen der Einhaltung der Prüfpflichten zugunsten der Rechteinhaber verzichtet. Die Beweislast wird umgedreht und eine Vermutung dafür aufgestellt, dass der Anschlussinhaber die Rechtsverletzung in eigener Person begangen hat, wenn sein Anschluss verschlüsselt war und er nicht weiß, wer den Song oder den Film heruntergeladen hat. Hierdurch ist die Störerhaftung contra legem zu einer reinen Gefährdungshaftung umgewandelt worden.

Der Anschlussinhaber haftet dabei in mindestens drei Fällen völlig zu Unrecht:

–          Er haftet für den Betrieb eines offenen WLAN.

–          Er haftet für Fehler in der Ermittlung durch die Anti-Piracy-Firmen.

–          Er haftet für Hacker und andere Betriebsstörungen.

Das offene WLAN wächst. Soviel ist sicher. An Flughäfen, in Bibliotheken, auf Messen, in Schulen, auf dem Uni-Campus und demnächst in den ganzen Innenstädten können sich Filesharer mit ihrem PC einwählen und über den Anschluss eines anderen ins Internet gehen. Und das ist auch gut so. Das Risiko der uneingeschränkten Haftung kann und sollte der Anschlussinhaber in solchen Fällen aber nicht tragen müssen, weil dies rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht entspricht und auch in anderen Bereichen nicht so gehandhabt wird.

Im Falle der Forenbetreiberhaftung nach Störergrundsätzen ist die Rechtssprechung sich nämlich einig, dass der Forenbetreiber keine vorgreiflichen Prüfpflichten zur Ermittlung von Rechtsverletzungen in seinem Forum hat. Es reicht, wenn er jeweils nach konkreter Kenntnis (also ab Erhalt der Abmahnung) den entsprechenden Beitrag unverzüglich löscht.

Der Anschlussinhaber hingegen muss nach derzeitiger Lage sein Netz sichern, dafür ggf. professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, er muss seine Ehefrau und die Kinder belehren und dann ständig den Computer nach eventuellen Rechtsverstößen durchsuchen.

Auch der Access-Provider haftet nicht für seine Nutzer (§ 8 Telemediengesetz); auch nicht als Störer (vgl. nur LG F.a.M. Beschluss v. 05.12.2007, Az. 2-03 O 526/07).

Hier werden also vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt, was einen Verstoß gegen Art. 3 GG darstellt.

Die Haftung für Hacker und Ermittlungsfehler geht ebenfalls zu weit. Ein Router- Passwort kann z.B. mit der Software „Aircrack” ohne weiteres gehackt werden. Ferner gibt es mittlerweile genug Erkenntnisse, die bestätigen, dass im Einzelfall bei den Ermittlungen des Anschlussinhabers Fehler geschehen.

Der Anschlussinhaber hat aktuell, obwohl er Anspruchgegner ist, die Pflicht zu beweisen, dass ein Dritter von außen auf seinen Anschluss zugegriffen hat oder dass es zu Fehlern im Ermittlungsprozess gekommen ist. Hierdurch wird das Risiko des illegalen Downloads auf denjenigen verlagert, der es gerade nicht am besten verhindern oder versichern kann.
 

Warum wir eine Einzelfallprüfung für unverzichtbar halten

Aus zahlreichen Beispielen in der Vergangenheit sind etwa erhebliche Fehler bei der angeblich beweiskräftigen Ermittlung von mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen und bei der Feststellung und Zuordnung von IP-Adressen im Zusammenhang mit Filesharing-Verfahren bekannt geworden. Logischerweise entstehen in solchen Massenverfahren, bei denen viele Menschen beteiligt sind, Fehler, die sich oftmals in falschen oder falsch zugeordneten IP-Adressen äußern (LG Stuttgart, Urteil v. 16.07.2007, Az. 17 O 243/07, AG Hamburg Altona, Urteil v. 11.12.2007, Az. 316 C 127/07, LG Frankenthal, Beschluss v. 06.03.2009, Az. 6 O 60/09).

Die Erfahrungen haben seinerzeit auch die Staatsanwaltschaften gemacht. Dort konnte beobachtet werden, dass Provider bei der Abfrage von IP-Adressen mitteilen, zu dem betreffenden Zeitpunkt sei zu der konkreten IP-Adresse keine Session gefunden worden. Dies könne nur bedeuten, dass unter den zur Anzeige gebrachten angeblichen Taten auch solche waren, die es nicht gegeben habe. Dies habe man nur zufällig bemerkt, weil die angeblich benutzte IP-Adresse zum betreffenden Zeitpunkt überhaupt nicht in Benutzung gewesen sei. Ob und wie oft eine mitgeteilte IP-Adresse zur Tatzeit von einem Unbeteiligten anderweitig genutzt worden sei, lasse sich daher nicht mit Sicherheit sagen.

Derartige Fehlverknüpfungen sind nach Erfahrung der Staatsanwaltschaften kein Einzelfall. Bei einigen Verfahren habe die Quote der definitiv nicht zuzuordnenden IP-Adressen deutlich über 50% aller angezeigten Fälle gelegen. In einem Fall habe die Fehlerquote sogar über 90% betragen. Erklärt werden können solche Zuordnungsprobleme etwa durch Schwierigkeiten bei der Zeitnahme – sowohl beim ermittelnden Unternehmen als auch beim Provider (vgl. LG Köln, Beschluss v. 25.09.2008, Az. 109-1/08).

Es wurde bisher noch nicht sorgfältig von den Gerichten nachgeprüft, ob die von den Anti-Piracy-Firmen verwendete Software überhaupt richtig funktioniert. Im Moment liegt die Beweislast bei den Anschlussinhabern, die sich natürlich ein entsprechenden Gutachten nicht leisten können, was ein weiterer Grund ist, auf das Vergleichsangebot der Rechteinhaber auch im Unschuldsfall einfach zu zahlen.

Es werden immer wieder Fälle bekannt, die an einer Funktionstüchtigkeit der Software zweifeln lassen. In einem Fall hat die Software „FileWatch” einen Upload protokolliert, obwohl ein modifizierter eMule-Client (“0-Upload-Mod”) genutzt wurde, der nicht zum Upload geeignet ist.

Bei der massenhaften Übertragung von IP-Adressen von einer Liste in die nächste ist es nicht nur einmal zu Zahlendrehern gekommen. Es sollte also nicht egal sein, wie die Ermittlungsfirmen arbeiten.

Anti-Piracy Firmen werben offen damit, FAKE-Dateien ins Netz stellen zu können.

Auf der Webseite der Ermittlungsfirma Logistep AG (früher DigiProtect) kann man Folgendes lesen:

“Die Logistep AG kann Täuschungsdateien (Fake-Dateien) ins Internet stellen, welche durch eine Verifizierung nicht auffallen. Wir nennen diese Form unserer Täuschungsdatei auch “Killer-Fake”, denn eine solche Datei wird durch alle P2P-Plattformen akzeptiert und verbreitet sich anschließend wie ein Virus. Es besteht auch keine Möglichkeit seitens der P2P-Plattformen einen solchen Effekt zu unterbinden.”

Das heißt in der Zusammenfassung, dass wertlose Dateien – also solche mit Inhalten, die nicht der Beschreibung entsprechen und/oder sich nicht öffnen lassen – mit dem gleichem Hash-Wert der streitgegenständlichen Datei im Internet zum Download angeboten werden.

Die proMedia GmbH (ermittelt für die Mandanten der Kanzlei Rasch) hat bereits 2008 bewiesen, dass sie nicht immer verlässliche Ergebnisse produziert, als die Firma versehentlich legale, unter CC-Lizenz veröffentlichte Musikdateien beim Webhoster „rapidshare” gelöscht hat.

Die Ermittlungsmethoden sind entgegen der Aussage in den Abmahnungen eben nicht „beweissicher”. Und die Beweisführung ist auch nicht einwandfrei.

Die von den Abmahnanwälten vorgelegten Screenshots sind fälschungsanfällig und der gesamte Prozess des Monitoring ist bisher nur unzureichend begutachtet worden. Dass die Ermittlungsfirmen auch Rechtsdienstleistungen erbringen und damit gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen, wird der Grund dafür gewesen sein, dass diese sich jetzt mehrheitlich in die Schweiz „verzogen” haben.

Es gibt drei sehr interessante Aufsätze zu den Themen Beweis- und Manipulationsfähigkeit von Hash-Werten und zu der Ermittlungssoftware Filewatch, durch die der Beweiswert der vorgelegten Ergebnisse doch sehr entkräftet wird.

Die Aufsätze finden Sie im Internet unter den folgenden Adressen:

http://www.zahnarzt-dr-mueller.com/HashDateien.pdf

http://www.zahnarzt-dr-mueller.com/PDF/Gedanken%20zu%20FileWatch.pdf  http://www.zahnarzt-dr-mueller.com/PDF/Gedanken%20zum%20Gutachten%20DigiProtect.pdf.

Viele berichten von den unterschiedlichsten Ungereimtheiten und Unverschämtheiten in den Abmahnungen. In dem bereits zitierten Artikel von Holger Bleich in der c’t (s.o.) werden Fälle genannt in denen der Anschlussinhaber geloggt wurde, obwohl er nachweislich für drei Monate in den USA war. Der Router war mit WPA2 verschlüsselt.

Im nächsten Fall hat der Provider auf Nachfrage des Abgemahnten angegeben, überhaupt keine Auskunft über seine Adresse erteilt zu haben. Einem unserer Mandanten ist es ebenso ergangen.

In einem anderen von uns betreuten Fall hat ein beauftragter Telekommunikationstechniker an keinem der zwei internetfähigen Firmen-Computer den behaupteten Zugriff auf eine Tauschbörse feststellen können.

Die „Mobilmachung” beim Landgericht Köln lässt jedoch vermuten, dass das Geschäft mit kostenpflichtigen, rechtsmissbräuchlichen Massenabmahnungen der Musik- und Filmindustrie auch im Jahre 2010 florieren wird. Der Verein gegen den Abmahnwahn berichtet in der Jahresstatistik für 2009 von ca. 453.000 Abmahnungen (fast eine Verdoppelung zum Vorjahr!).

Die beim Bundestag eingereichte Petition zur Abschaffung der kostenpflichtigen Abmahnung wird daran eher nichts ändern. Es bleibt also nur, mit massivem Gegenlobbyismus darauf hinzuarbeiten, dass sich das Bundesjustizministerin bald in die Materie eingearbeitet hat (vgl. hierzu Stellungnahme des Bundesjustizministeriums in c’t 2010, S. 157) und sich mit der berechtigten Kritik an der Handhabung der §§ 101 und 97a  UrhG (für § 97 a UrhG vgl. Hoeren, CR 6/2009, S. 378) auseinandersetzt.
 

Letzte Fragen, die es zu beantworten gilt:

Wird Madonna durch Filesharing arm?

Die Antwort ist Nein!

Das Thema „Raubkopie” ist ein alter Hut. Bereits in den 80-er Jahren gab es eine Kampagne der Musikindustrie mit Titeln wie „Hometaping kills Music”. 1981 haben die Dead Kennedys darauf mit „Home taping is killing record industry profit” geantwortet. Schon damals war es kaum verständlich, warum es nicht möglich sein sollte, einen Mitschnitt aus dem Radio unter Freunden zu tauschen.

Wenn jetzt Anti-Piracy-Firmen im Verbund mit einigen Anwälten unter der Flagge mit der Aufschrift „Turn Piracy into Profit” „in See stechen”, ist dies nichts weiter als eine gute gesteuerte Profitmaximierungskampagne.

Die Musikindustrie und auch die von ihr beauftragten Anwälte verdienen bestens an der Tauschbörse. DigiRightsSolution (Ermittlungsfirma) hat Zahlen benannt, die verständlich machen, wie profitabel das Geschäft mit der Illegalität tatsächlich ist: 25% der Abgemahnten zahlen nämlich sofort, bei einer Pauschale von 450 € (und das ist noch billig!) gehen davon 90,- € an den Rechteinhaber.

DigiRightsSolution wirbt mit der Aussage: „Der Ertrag bei erfassten und bezahlten illegalen Downloads ist das 150-fache! Das bedeutet, wenn 1250 Rechtsverletzer erfasst werden, die zahlen, müssten zur Erwirtschaftung des entsprechenden Ertrags 150.000 Downloads legal verkauft werden.”

Und das in Zeiten, in denen eine goldene Schallplatte, trotz der gesenkten Voraussetzungen, unerreichbar scheint.

Kaum jemand hat die scheinbare Logik, die die Musik- und Filmindustrie für sich reklamiert, bisher so schön auf den Punkt gebracht, wie die neunte große Strafkammer des LG Köln, die darauf hingewiesen hat, dass

„die gemeinhin reklamierten ‚Millionenschäden’ durch Tauschbörsen zumeist auf der hypothetischen Annahme beruhen, die getauschten Dateien würden bei Unterbindung des Datentausches käuflich erworben. Dies dürfte indes aus wirtschaftlichen Gründen wenig realistisch sein. Vielmehr ist anzunehmen, dass durch den kostenlosen Tausch von urheberrechtlich geschützten Werken ein ‚Konsum’ generiert wird, der unter kommerziellen Bedingungen ansonsten schlicht unterbleiben würde.” (Urteil vom 25.09.2008, Az. 109-1/08).

Es stellt sich also die Frage: Ist es den Rechteinhabern eigentlich wichtig, dass die illegal getauschten Dateien aus dem Netz verschwinden?

Die Antwort ist Nein!

Die Rechteinhaber lassen sich ab Kenntnis von dem Rechtsverstoß bis zu 8 Monate Zeit, um dem abgemahnten Anschlussinhaber mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu drohen. In einem solchen Fall fehlt es an der Dringlichkeit, so dass eine einstweilige Verfügung überhaupt nicht erwirkt werden kann. Dass wissen aber die Anschlussinhaber nicht.

In einigen Fällen kann man die abgemahnte Datei im Zeitpunkt der Abmahnung ein halbes Jahr nach dem angeblichen Download noch im Internet finden. In einem zuletzt von uns betreuten Fall war die Datei über eine Internetseite verfügbar auf der eine Funktion eingerichtet ist, mit der jedermann Rechtsverstöße der Nutzer melden kann.

Ist es den Rechteinhabern wichtig, jeden einzelnen zur Zahlung zu bewegen?

Nein.

Das Erlösmodell rechnet sich schon durch diejenigen, die direkt zahlen. Gerichtsverfahren werden auch von den abmahnenden Kanzleien vermieden und nur in Einzelfällen durchgeführt.

Selbst bei dem Erfolg, den die Kanzleien vor den Gerichten unverständlicherweise haben, verwundert es nicht weiter, dass in den meisten Fällen die Rechteinhaber ihren Anspruch nicht bis zum Ende durch verfolgen, wenn man sich den Profit ansieht, der mit nur einem einzigen Abmahnschreiben gemacht wird, weil eben ein gewisser Prozentsatz der Abgemahnten sofort zahlt.
 

© Verena Rigtering, Feb. 2010, Alle Rechte vorbehalten

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