Fachbeitrag 05.07.2010

BSG verwirft „leere Hülle“


Am 15.06.2010 hat das Bundessozialgericht in mehreren Fällen entschieden,
dass die in der landessozialgerichtlichen Rechtssprechung entwickelte
Rechtsauffassung zu den betrieblichen Vorraussetzungen der Zugehörigkeit zur
technischen Intelligenz, insbesondere die Argumentation zur „leeren Hülle”
nicht durchgreift.

Die aktuelle Auffassung der DRV verletzt die §§ 1, 5 und 8 AAÜG. Die DRV
trägt dem Umwandlungsprozess eines sozialistischen Wirtschaftssystems in ein
marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem, insbesondere den geltenden
Übergangsregelungen nicht ausreichend Rechnung. Gemäß Umwandlungsverordnung vom
1. März 1990 waren alle volkseigenen Betriebe und Kombinate verpflichtet, sich
in eine GmbH oder eine AG umzuwandeln.

In den vorliegenden Fällen ist eine Löschung des VEB-Betriebes unstreitig
erst nach dem 30.06.1990 mit dem Vermerk erfolgt, dass damit seine
Rechtsfähigkeit von Amts wegen beendet sei. Nach Unterzeichnung des
Überleitungsvertrages ist weder eine arbeits- noch eine raummäßige Veränderung
eingetreten. Laut § 7 der Umwandlungsverordnung wird die Umwandlung ausnahmslos
erst mit Eintragung in das Handelsregister wirksam. Eine Vorgesellschaft ist
ausdrücklich nicht geregelt worden. Die neu gebildete Kapitalgesellschaft hat
damit erst mit der Eintragung  zu existieren begonnen. Erst zu diesem Zeitpunkt
hat der alte VEB erlöschen können.

Darüber hinaus fand gemäß § 23 des Treuhandgesetzes (TreuhG) vom 17. Juni
1990 (GBl I S 300) § 11 Abs 2 Satz 1 TreuhG Anwendung (vgl zum Verhältnis der
Umwandlungs-verordnung zum TreuhG: BGH ZIP 1998, 86; BGH ZIP 1999, 489; BGHZ
141, 1; BGH WM 2001, 1002; BVerwGE 115, 231), mit der Folge, dass der VEB
bereits kraft Gesetzes (§ 11 Abs 1 TreuhG) vom 1. Juli 1990 an eine GmbH war,
die gemäß § 14 TreuhG ab diesem Zeitpunkt unter der Firma “Gesellschaft mit
beschränkter Haftung im Aufbau” auftrat (Urteil des BSG vom 29.07.2004 -Az.: B 4
RA 4/04 R-).

Die vom BSG vorgenommene erweiternde verfassungskonforme Auslegung des § 1
Abs 1 AAÜG sowie die Begrenzung auf den Personenkreis, der nach der am 30. Juni
1990 gegebenen Sachlage die drei Voraussetzungen der AVItech erfüllte, stehen im
Einklang mit Art 3 Abs 1 und Abs 3 GG. Personen die diese Voraussetzungen
erfüllten, dürfen sowohl gegenüber dem vorgenannten Personenkreis als auch
gegenüber der Personengruppe, die eine früher einmal erfolgte Einbeziehung i. S.
des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG verloren hat, nicht unterschiedlich behandelt werden.
Eine Verschiedenbehandlung ist nur dann angezeigt und verfassungsgemäß, wenn
dafür Gründe von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass sie die
ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen (vgl BVerfGE 87, 234, 255; 88, 87, 97; 91,
389, 401; 95, 267, 317). Dies hat das BSG mit Urteil vom 29.07.2004 -Az.: B 4 RA
4/04 R- bisher nur für den Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der
Vorgesellschaft, bei gleichzeitig festgestellten Begleitumständen bejaht, die
ebenfalls keinen Hinweis dafür ergaben, dass die Vertragsparteien einen anderen
rechtsgeschäftlichen Willen gehabt haben konnten. Ergänzend hat das BSG darauf
hingewiesen, dass der Überleitungsvertrag nach den §§ 51, 53 AGB-DDR eine
spezielle Rechtsform der Aufhebung (Auflösung) eines Arbeitsvertrages mit einem
Betrieb (= Arbeitgeber) und des gleichzeitigen Abschlusses eines neuen
Arbeitsvertrages mit einem anderen Betrieb (= neuer Arbeitgeber) war. Er diente
der reibungslosen Überleitung des “Werktätigen” in einen anderen Betrieb und des
einen Arbeitsverhältnisses in ein anderes und sicherte damit die ununterbrochene
Tätigkeit des “Werktätigen” (vgl Urteil des Senats vom 18. Dezember 2003 – B 4
RA 20/03 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; dazu auch:
Autorenkollektiv unter Kunz/Thiel, Arbeitsrecht, Lehrbuch, 1983, Staatsverlag
der DDR, S 135 f, 138 f). Notwendiger Vertragsinhalt war die Festlegung des
Tages der Auflösung des Arbeitsvertrages mit dem bisherigen Betrieb und die
Festlegung des Beginns der Tätigkeit im neuen Betrieb. Nach § 60 Abs 1 AGB-DDR
hatte der “Werktätige” das Recht, gegen eine Vereinbarung über die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses im Überleitungsvertrag bei der Konfliktkommission bzw der
Kammer für Arbeitsrecht des Kreisgerichts Einspruch einzulegen. Mit diesem
konnte er nach § 60 Abs 3 AGB-DDR die Rechtsunwirksamkeit der Auflösung durch
eine Aufhebungsentscheidung herbeiführen. Das LSG damals für den BSG-Senat
bindend festgestellt, dass ein entsprechender Einspruch nicht eingelegt wurde
und damit die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem VEB rechtswirksam mit
dem Ablauf des 31. Mai 1990 erfolgte.   

Im Vorfeld einer erstmaligen oder erneuten Antragstellung beim
Rentenversicherungsträger unter Berufung auf die neue BSG-Rechtsprechung sollte
sicherheitshalber fachkundiger Rat eingeholt werden.

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Rechtsanwalt
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