Testamente sind oft auslegungsbedürftig, weil die Formulierungen von anderen nicht so verstanden werden wie vom Erblasser. Es kommt aber ausschließlich auf den Willen des Erblassers an, und zwar zu der Zeit, zu der er das Testament geschrieben hat. Der letzte Wille wird vom Nachlaßgericht aber erst nach seinem Tod erforscht. Daher ist die Feststellung des wirklichen letzen Willens immer wieder schwierig.
Außerdem sind letztwillige Verfügungen anfechtbar, wenn der Erblasser sich im Irrtum über wesentliche Dinge befand. Auch hier ist es in den meisten Fällen schwierig, nachträglich den Irrtum im entscheidenden Zeitpunkt nachzuvollziehen und zu beweisen.
Das Nachlaßgericht Stuttgart hat im Sommer 2012 einen besonders kniffligen Fall entschieden, bei dem vom Wortlaut des Testaments nach Anfechtung und Auslegung nicht mehr viel übrig war:
Im Testament stand: „Meine Tochter bekommt das Landwirtschaftsgut in Südosteuropa, das ich von meinen Eltern geerbt habe. Damit ist ihr Pflichtteil abgedeckt. Sie hat mich die letzten Jahre nicht besucht. Das übrige Vermögen soll derjenige bekommen, der meine Manuskripte als Buch veröffentlicht.“ Auf den ersten Blick sollte die Tochter also enterbt werden. Wer das Buch veröffentlicht, sollte wohl Erbe werden. Im Erbscheinsverfahren argumentierte der Anwalt der Tochter jedoch mit der „etwas speziellen Familiengeschichte“:
Die Familie stammt aus Südosteuropa. Der Erblasser hat seine Tochter und deren Mutter im Heimatland zurückgelassen, als er nach Deutschland zog. Er hat später die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Seine Tochter behielt ihre Staatsangehörigkeit und lebte weiterhin im Ausland. Sie besuchte ihn nur deshalb so selten, weil sie kein Visum für die Einreise nach Deutschland bekam. Der Erblasser befand sich also im Irrtum über den Grund, warum seine Tochter ihn nicht besuchte.
Es gab noch einen zweiten Irrtum: Der Wert des Bauernhofs deckte den Pflichtteil nicht einmal ansatzweise. Das Wertgutachten ergab, daß der Immobilienwert nur ca. ein Fünftel des Pflichtteils ausmachte. Aus dem Testament ergab sich aber, daß die Tochter mindestens im Wert des Pflichtteils bedacht sein sollte.
„Wer das Buch veröffentlicht“ ist keine ausreichend konkrete Bezeichnung, um als Erbeinsetzung akzeptiert zu werden. Das Gesetz verlangt, daß die Person des Erben im Zeitpunkt des Erbfalls von einem vernünftigen Mensch bestimmt werden kann, der das Testament liest und die Umstände kennt. Es reicht nicht aus, daß man irgendwann später feststellen kann, wer das sein könnte.
Nachdem kein anderer Erbe im Testament genannt wurde, bekam die Tochter wegen der Anfechtung und Auslegung des Testaments am Ende doch einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist, obwohl der Wortlaut des Testaments noch einen völlig anderen Ausgang des Verfahrens vermuten ließ.