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Rechtsschutzversicherung
Fachbeitrag 22.10.2012

50. Verkehrsgerichtstag – Arbeitskreis I


50. Verkehrsgerichtstag – Arbeitskreis I: Schwerzensgeldansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern in Italien

Mit Urteil der Vereinten Senate des ital. BGHs Nr. 26972 vom 11.11.2008 ist die Schadensposition des Schmerzensgeldes de facto abgeschaffen worden.

Man unterscheidet somit nur mehr zwischen dem „danno patrimoniale“ (Sachschaden) und dem „danno non patrimoniale (Personenschaden)“, wobei somit der Schmerzensgeldanspruch nicht mehr als eine eigenständige Schadensposition des Personenschadens zu betrachten ist. Mit diesem Begriff wird heute lediglich die subjektive Schmerzsituation beschrieben, die aufgrund eines schädigenden Ereignisses entstehen kann.

Die italienische Rechtsprechung hat im Rahmen des Personenschadens die Schadensposition des sog. „danno biologico“ (sinngemäß mit „biologischer Schaden“ übersetzbar) erarbeitet. Dem Geschädigten wird aufgrund einer Beeinträchtigung des verfassungsmäßig geschützten Rechtsgutes der Gesundheit ein Schadenersatz zugesprochen, wobei aufgrund einer Gliedertaxe die Beeinträchtigung bestimmt wird. Es gibt dann eine Unmenge von Tabellen, bei denen je nach Alter des Geschädigten und nach Grad der bleibenden Invalidität ein Schadenersatz zuerkannt wird

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Schmerzensgeld bei Unfällen mit Todesfolge

Allgemeines: Der ital. BGH erkennt die Ansprüche naher Angehörigen von Unfallopfern nicht als mittelbar Geschädigte an, sondern als direkte Opfer. Man unterscheidet zwischen den Direktgeschädigten, welche in deren Gut des Lebens oder der Gesundheit beeinträchtigt worden sind und den Angehörigen, welche auch direkt und in einem eigenen persönlichen Interesse verletzt bzw. beeinträchtigt wurden. Die nahen Angehörigen von Unfallopfern werden somit als unmittelbar Geschädigte betrachtet, zumal sie eine eigene Rechtsgutverletzung erleiden. Der Anspruch rechtfertigt sich nicht unbedingt wegen der Trauer und des Schmerzes, der sich bei den Angehörigen einstellt, sondern einerseits aufgrund des Familienbandes, welches durchbrochen wird und anderseits aufgrund der engen Verknüpfung bzw. Verzahnung des Prinzips des „neminem laedere“ (Art. 2043 ital. ZGB – Schadenersatz wegen einer unerlaubten Handlung: Jedwede vorsätzliche oder fahrlässige Handlung, die einem anderen einen rechtswidrigen Schaden zufügt, verpflichtet denjenigen, der sie begangen hat, den Schaden zu ersetzen) und der in der italienischen Verfassung verwurzelten Schutzgüter wie das Leben, die Gesundheit, die Familie, die uneingeschränkte Lebensführung usw.

Die Angehörigen können somit iure proprio und iure hereditatis Ansprüche über folgende Schadenspositionen geltend machen:

  • I Bestattungskosten und alle anderen materiellen Schäden (Fahrzeug usw.) sind erstattungspflichtig;
  • II Schadenersatzanspruch iure proprio: entschädigt wird hier das von der italienischen Verfassung geschützte Rechtsgut des Familienbandes, welches durch das schädigende Ereignis zerstört wird. Dabei stehen, je nachdem, welche Tabellen das örtlich zuständige Landesgericht anwendet, den Eltern, Kindern, getrennten und auch geschiedenen Ehepartnern sowie Lebensgefährten, welche mit dem Opfer auf der Basis von faktischen Unterhaltsbeziehungen zusammenlebten (more uxorio) Ansprüche in der Höhe von Euro 154.000,00 bis Euro 304.000,00/Person zu, während die Großeltern und Geschwister Ansprüche in der Höhe von Euro 30.000,00 bis 120.000,00 Euro geltend machen können. Jene Ansprüche können von den Angehörigen ohne Nachweis einer krankheitswertigen Beeinträchtigung geltend gemacht werden.
  • III Biologischer Schaden (iure proprio) zuzüglich eventueller Personalisierung des Schadens bei krankhafter psychischer Beeinträchtigung der Hinterbliebenen.

Zusätzlich zu dem eben genannten (sog. tabellarischen) Schadenersatzanspruch kann den Angehörigen (sofern die Einstellung eines posttraumatischen Belastungssyndroms oder einer eventuellen depressiven Episode mittels psychologischem oder psychiatrischem Gutachten und vor allem auch Zeugen nachgewiesen wird), je nach Schwere der krankhaften psychischen Beeinträchtigung, ein weiterer Schadenersatz von einigen hunderttausend Euro zusätzlich zuerkannt werden. Man verwendet hierbei eine Tabelle, die von der modernen Psychiatrie erarbeitet worden ist, bei der durch eine depressive Störung sich eine psychische Beeinträchtigung in einem Ausmaß in Höhe von 31% – 75% einstellen kann.

Ich möchte an dieser Stelle die Aufstellung der Schadenersatzansprüche sämtlicher Familienangehörigen aus einem sicherlich nicht alltäglichen Fall unserer Kanzlei wiedergeben, bei dem durch einen Unfall ein naher Angehöriger unserer Mandanten zu Tode gekommen ist (der Bruder des Opfers befand sich mit diesem im selben Fahrzeug und die Eltern sind an die Unfallstelle gerufen worden und haben den tödlich verletzten Sohn dort vorgefunden).

Mutter:

für das Ableben des Sohnes laut Tabelle  EURO 250.000,00

biologischer Schaden 65 %                     EURO 514.000,00

Personalisierung des Schadens               EURO 205.000,00

Insgesamt                                                         EURO 790.000,00

Vater:

für das Ableben des Sohnes laut Tabelle   EURO 250.000,00

biologischer Schaden 50 %                      EURO 317.000,00

Personalisierung des Schadens                EURO 127.000,00

Insgesamt                                                          EURO 694.000,00

Bruder:

für das Ableben des Bruders laut Tabelle  EURO 100.000,00

biologischer Schaden 30 %                      EURO 159.000,00

Personalisierung des Schadens                EURO   63.000,00

Insgesamt                                                          EURO 322.000,00

 

  • IV Übergang des Anspruches für die Hinterbliebenen des Unfallopfers

a)   sog. „Personenschaden“ des Verstorbenen unter dem Rechtstitel des iure hereditatis, sofern dieser nach einem bestimmten Zeitraum (von ca. 3 Tagen) nach dem Unfall verstirbt. Entschädigt wird hier die Situation des Opfers, welches sich nach dem Unfall aufgrund der Schwere der Verletzungen sofort bewusst wird, dass es den Verletzungsfolgen erliegen wird. Dieser Anspruch steht aber nur dann zu, wenn das Opfer nach dem Unfall bei Bewusstsein geblieben ist (Landesgericht Mailand: Euro 15.000,00).

b)  Andererseits wird der „Personenschaden“ des Verstorbenen entschädigt, auch wenn er nach dem Unfall das Bewusstsein verloren hat, sofern man annehmen kann, dass er sich der nahenden „Katastrophe“ bewusst geworden ist (z. B. Zeitraum zwischen Verlust der Kontrolle des Fahrzeuges bis zu dem Aufprall; sog. „danno catastrofico“).

c) Tagegeld (bis zu Euro 132,00 pro Tag und zwar für den Zeitraum ab Unfalldatum bis zum Ableben).

d) Weiterer materieller Anspruch von etwa ca. Euro 25.000,00 pro Elternteil, wenn man davon ausgeht, dass das Kind die Eltern materiell in späteren Jahren versorgt hätte.

  •  V Besondere Aspekte bezüglich Ansprüchen bei der Betreuung eines Schwerbehinderten durch Familienangehörige bzw. bei Einschränkung des Sexuallebens

a)   materieller Anspruch bei eventuellem Verdienstentgangschaden, der sich einstellt, sofern der Familienangehörige aus Solidarität zum Opfer seine Erwerbstätigkeit einschränkt.

b)  Der immaterielle Anspruch, welcher jedem Familienangehörigen, aber auch dem Lebensgefährten (der more uxorio mit dem Opfer eine Lebensgemeinschaft unterhält) zusteht, der den Schwerbehinderten betreut, begründet sich aufs von der italienischen Verfassung geschützte Rechtsgut der uneingeschränkten Lebensführung.

Entschädigt wird die Veränderung der Lebensumstände, die sich durch die Betreuung seitens der Angehörigen des Verunfallten einstellen. Die Betreuung eines schwerbehinderten Angehörigen bringt nicht nur eine finanzielle Bürde mit sich, sondern auch eine direkte emotionale Belastung, seelischen Schmerz und auch ein Trauergefühl und in den meisten Fällen sogar eine Situation der Verzweiflung. Es mag zwar sein, dass in Deutschland dem Opfer selbst in solchen Fällen ein hohes Schmerzensgeld zusteht, jedoch stellt sich bei den Angehörigen zweifelsfrei eine E I G E N E Rechtsgutverletzung ein, welche in gebührender Weise entschädigt werden soll. Dass es sich dabei lediglich um einen sog. Reflexschaden handeln soll, erscheint, zumindest nach ital. Rechtsverständnis, eher realitätsfremd.

In Italien steht somit  den Angehörigen als Höchstmaß jener Betrag zu, der beim Ableben des Verunfallten von jedem Hinterbliebenen hätte geltend gemacht werden können (ca. Euro 154.000,00 bis 304.000,00).

c)   Einem Ehemann wurde ein Schadenersatz in Höhe von Euro 200.000,00 zugesprochen, da seine Ehefrau aufgrund eines Unfalles querschnittgelähmt geblieben ist. Ihm blieb der langersehnte Kinderwunsch verwehrt und sexuelle Handlungen zwischen den beiden Ehepartnern waren nicht mehr möglich.

Einlassung der Hinterbliebenen als Zivilkläger im Strafverfahren gegen den Schädiger

Die Hinterbliebenen können sich als Zivil- oder Nebenkläger in das Strafverfahren gegen den Schädiger einlassen und werden als Prozesspartei betrachtet, können jegliche Art von Ansprüchen stellen und das Gericht kann den Angehörigen im Falle einer Verurteilung des Angeklagten eine provisorische Schadensersatzzahlung zusprechen, wobei dann zu einem späteren Zeitpunkt in einem separaten Zivilverfahren die exakte Höhe des definitiven Schadensersatzanspruches bestimmt wird.

Kritische Anregungen bzw. Empfehlungen de lege ferenda zum deutschen Schadensrecht

Man wird jetzt sicherlich überrascht sein, welche umfangreichen Möglichkeiten das italienische Schadensrecht für die Geltendmachung der Ansprüche naher Angehörigen vorsieht.

Die unterschiedliche Regelung zu der deutschen Rechtsordnung ist zweifelsfrei auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen, zumal nach italienischem Verständnis, wenn ein naher Angehöriger Opfer eines Verkehrsunfalls wird und somit ein Hinterbliebener des wohl Wertvollsten beraubt wird, überhaupt nichts Verwerfliches an der Tatsache gefunden wird, dass Ansprüche an den Schädiger gestellt werden.

In Deutschland ist dies sicherlich anders und zweifelsfrei hat man für die Problematik ein ganz anderes Verständnis und zwar dass es quasi etwas Anrüchiges an sich habe, wenn man durch das Ableben eines Angehörigen womöglich einen finanziellen Nutzen zieht.

Ich bin der vollen Überzeugung, dass diese Einstellung allemal zu respektieren ist, zumal sie zweifelsfrei auf ethischen Prinzipien fußt und somit ihre Berechtigung hat.

Weniger akzeptabel erscheinen mir aber die Beweggründe, welche hierzulande gegen einer Aufhebung der Beschränkungen angeführt werden und zwar, dass womöglich Missbrauch entstehen könnte oder aber dass dies eine zu große Belastung für die Versicherungswirtschaft darstellen würde.

Es stellt sich die Frage, ob auch in Deutschland umfangreichere Rechtsgrundlagen geschaffen werden sollten, damit nahe Angehörige von Unfallopfern immaterielle Schadensersatzansprüche bei Unfällen mit Todesfolge bzw. bei der Betreuung eines Schwerbehinderten stellen können oder nicht.

Weiters ist es mir ein Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass ich die Traditionen und Kulturen anderer Länder respektiere und deshalb liegt mir nichts ferner, als jemanden vorzuschreiben, was zu tun sei.

Allerdings sind, wie eben angeführt, meiner Auffassung nach die Argumente, die hierzulande ins Feld geführt werden, um die Möglichkeiten immaterieller Ansprüche von Angehörigen von Unfallopfern nicht zu erweitern, nicht sonderlich überzeugend.

a.) Einmal wird nämlich angeführt, dass dies für die Versicherungswirtschaft eine zu große Belastung mit sich bringen würde.

Nachdem es in Deutschland meinen Informationen zu Folge pro Jahr etwa 4.000 Verkehrstote zu beklagen gibt (wobei der eine oder andere den Unfall auch selbst verschuldet haben dürfte), so dürfte es sich in Summe doch um überschaubare Beträge handeln.

Natürlicherweise hat es auch in Italien immer wieder solche Diskussionen gegeben, jedoch hat man dann in der Praxis quasi eine Umverteilung zu Lasten der Entschädigungssummen, die bei Sachschäden gezahlt werden, zu Gunsten der Entgelte für die Personenschäden vorgenommen. Einerseits wurde das Prinzip der Schadensminderungspflicht, die laut italienischem ZGB allemal anzuwenden ist, verschärft und andererseits dadurch, dass nicht alle indirekten Schäden unbedingt automatisch erstattungspflichtig sind, hat man das Problem allemal in den Griff bekommen. Das italienische Schadensrecht hat sich nämlich dahingehend entwickelt, dass vor allem bei schlimmen Verletzungen oder wenn Angehörige mit tragischen Konsequenzen durch das Ableben eines nahen Familienangehörigen aus einem Verkehrsunfall zu rechnen haben, die Opfer in angemessener Weise entsprechend entschädigt werden. Damit aber die Belastungen für die Versicherungswirtschaft nicht allzu hoch sind, so verfährt man in der Praxis so, dass vor allem bei Sachschäden nicht unbedingt jeder indirekte Schaden wie Wertminderung, Nutzungsausfall, Gutachterkosten usw. vorbehaltlos entschädigt wird, sondern nur unter bestimmten Vorraussetzungen. Dies bedeutet, dass es sich für die Versicherungsgesellschaften um ein Nullsummenspiel gehandelt hat: die Beträge, die man an Opfer schwerer Unfälle und an deren Angehörige ausbezahlt, werden an anderer Stelle wieder eingespart, und zwar bei Posten, bei denen die Verletzung des entsprechenden Rechtsgutes für nicht ganz so schwerwiegend erachtet wird: bei Sachschäden, und im Besonderen bei den deren indirekten bzw. Folgekosten.

Somit könnte man auch in Deutschland aus Solidarität zu den Opfern und den Angehörigen von schweren Unfallschäden auf einen Teil der hohen Tagessätze für Nutzungsausfallentschädigungen (die allemal zu den höchsten in Europa zählen) verzichten. Auch sollten in Deutschland die Mietwagenkosten nur dann erstattungspflichtig sein, wenn der Nachweis erbracht wird, dass man bei der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit unbedingt auf ein Fahrzeug angewiesen ist bzw. schlecht auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen kann, um seine Arbeitstelle zu erreichen. Weiters müsste bei Sachschäden von Euro 2.000,00 – Euro 3.000,00 die Beibringung eines (meist relativ teuren) Gutachtens nicht unbedingt erforderlich sein und eine Schadensregulierung auch bei bloßer Einreichung eines Kostenvoranschlages bzw. einer Reparaturrechnung möglich sein. Die Versicherungswirtschaft würde somit insgesamt nicht unnötigerweise mit gigantischen jährlichen Gutachterkosten belastet. Auch sollte meiner Überzeugung nach eine Wertminderung nicht unbedingt bei jeder mittleren Beule erstattungspflichtig sein, sondern nur dann, wenn sich Schäden an tragenden Teilen des Fahrzeuges einstellen. Schließlich wäre der Versicherungswirtschaft sicherlich auch dienlich, wenn auf den Schadenersatzbetrag ein Abschlag von 30% zulässig wäre, sofern der Geschädigte das Fahrzeug nicht bei einer Partnerwerkstatt reparieren ließ. Nicht selten kommt es im gegenteiligen Fall nämlich zu überhöhten Rechnungen, inklusive Reparatur von bereits bestehenden Vorschäden usw.

Der Gesetzgeber könnte hier helfend eingreifen mit der Einführung einer Bestimmung, die jener des Art. 1223 ital. ZGB für den Fall der Nichterfüllung einer Schuld entspricht, und zwar in dem Sinne, dass nur direkte und unmittelbare Schäden ersatzpflichtig sind. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bei den diversen Schadenspositionen könnten dann gewaltige Einsparungen bei Sachschäden vorgenommen werden und somit im Allgemeinen bei Personenschäden die Schmerzensgeldbeträge erhöht und im Besonderen den nahen Angehörigen von Unfallopfern Schmerzensgeldbeträge ausbezahlt werden. Für die Versicherungswirtschaft würde dies – wie gesehen – schlechtestenfalls ein Nullsummenspiel darstellen, wenn nicht überhaupt Einsparungen mit sich bringen, doch würden von der Allgemeinheit wirklich für schwerwiegend empfundene Schäden an Leben und Gesundheit sowie Einschränkungen in freier Lebensführung in Folge eines Unfalls angemessen ersetzt.

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b.) Auch kann das Argument, dass eventuellem Missbrauch Vorschub geleistet würde, nicht überzeugen.

Sicher mag es den einen oder anderen Fall von Missbrauch geben, doch wenn die eben genannten Kriterien Berücksichtigung finden, so dürfte dies in der Praxis nicht allzu oft vorkommen.

Missbrauch gibt es zweifelsfrei aber auch bei reinen Sachschäden, zumal es ja leider häufig übliche Praxis ist, dass auch eventuelle Vorschäden mitrepariert werden. Um einen Vergleich zu bemühen: auch bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen kann es Missbräuche geben, jedoch können wir deshalb nicht die sozialen Sicherungssysteme abschaffen.

Wahrscheinlich werden solche Argumente eher von Menschen herangezogen, die nach einem tragischen Verkehrsunfall niemals direkten Kontakt zu einem nahen Familienangehörigen eines Unfallopfers gehabt haben, wie etwa bei folgenden Beispielen:

1. Frauen mit minderjährigen Kindern, die durch das unerwartete und tragische Ableben ihres Mannes bzw. Vaters finanziell nicht mehr in der Lage sind, die für Hauskauf oder –bau aufgenommenen Schulden zu tilgen;

2. Wenn der einzige Sohn einer Familie, die einen Familienbetrieb führt (z.B. Landwirtschaft), anlässlich eines Verkehrsunfalls verstirbt und die Eltern außerstande sind, den Betrieb weiter zu führen und der somit veräußert werden muss;

3. Ganz zu Schweigen von der Situation, wenn Familienangehörige einen Schwerbehinderten entweder bei sich zu Hause betreuen oder aber einem Langzeitpflegeheim zur Betreuung übergeben müssen. Die Pflegekasse zahlt monatlich lediglich einen geringen Teil der entsprechenden Kosten, wobei dann die Angehörigen die restlichen ungedeckten Kosten von monatlich Euro 3.000,00 – 4.000,00 selbst tragen müssen. Bekanntlich ist es in solchen Situationen auch nicht immer ein leichtes Unterfangen, beim Schädiger bzw. bei dessen Haftpflichtversicherer die ungedeckten Kosten geltend zu machen.  

Meiner Auffassung nach sollte man bestimmte Situationen aus einem anderen Blickwinkel (nämlich jenem der O P F E R) betrachten. Etwaige Diskussionen, dass sich nahe Angehörige durch Zahlung von Schadenersatzbeträgen aufgrund des Ablebens des Familienagehörigen womöglich noch bereichern könnten, sind aus meiner Sicht völlig realitätsfremd. Es mag vielleicht auch Grenzfälle geben, bei denen sich Schadensersatzzahlungen in obigem Umfang nicht rechtfertigen, jedoch wird man eine Ideallösung sicherlich nie finden. Es kann aber nicht angehen, dass in den allermeisten Fällen, wo sich eine Schadensersatzzahlung an die Angehörigen allemal rechtfertigen würde, eine solche aufgrund weniger Randfälle nicht möglich sein sollte.  Aus all diesen Gründen sollte man sich ernsthafte Gedanken darüber machen (aber wie bereits angeführt will ich sicher niemanden belehren), dass auch im deutschen Schadensrecht über den Gesetzgeber (die bestehende Rechtslage dürfte der Rechtsprechung keinen großen Spielraum lassen) die Möglichkeiten ausgeweitet werden, damit nahe Angehörige von Unfallopfern auch immaterielle Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger stellen können, so dass auch die vom Grundgesetz geschützten Rechtsgüter, wie das Leben, die Gesundheit, die Familie usw. wirklich einen besonderen Schutz erfahren und bei deren etwaiger Beeinträchtigung auch Schadenersatz an die Geschädigten geleistet wird. Sicher soll das vom Grundgesetz geschützte Rechtsgut des Eigentums auch seinen Schutz erfahren und bei dessen Beeinträchtigung muss der Schaden auch entsprechend ersetzt werden, jedoch müsste dieser Schutz meiner Überzeugung nach auch (und vor allem) für die anderen Rechtsgüter, wie das Leben, die Gesundheit, das Familienband, das Recht auf Ausübung einer uneingeschränkter Lebensführung usw. gelten, weshalb diese Rechtsgüter im Falle einer Beeinträchtigung auch in Deutschland in gebührender Weise entschädigt werden sollten. Dies ist sicherlich aber nur dann möglich, wenn man in Deutschland (so wie es in Italien der Fall ist) den oben genannten Schutzgütern eine größere Bedeutung zumisst und im deutschen Personenschadensrecht eine ausgeprägtere Verwurzelung bzw. Verankerung von wichtigen Grundwerten erfolgt. Geld kann zwar Geschehenes nicht ungeschehen machen, es soll aber Angehörige eines Opfers eines tragischen Verkehrsunfalls zumindest finanziell so weit unabhängig machen, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Bezüglich der Größenordnung des Ersatzanspruches erscheint mir ein vom Gesetzgeber fixierter Betrag als nicht besonders geeignet, zumal man schon den Umständen des konkreten Falles Rechnung tragen soll.

In Italien hat sich die Heranziehung von Tabellen mit Mindest- und Höchstsätzen, die jährlich der Inflation angepasst werden, als äußerst positiv herausgestellt. Dem vorhersehbaren Einwand der angeblich fehlenden Rechtssicherheit kann man schon jetzt entgegnen, dass den Instanzgerichten schon so viel Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl zugestanden werden muss, für den konkreten Fall einen angemessenen Betrag festzusetzen. Ungenügend und auch unangemessen erscheint mir, dass ungefähr nur ein Betrag von einigen wenigen zehntausend EURO in Frage kommen soll, denn auch hier handelt es sich um einen praxisfernen Vorschlag, da entstandenes und entstehendes Leid durch derartige Summen nicht abgemildert werden kann.

Der Schreiber dieses Aufsatzes hat in seiner dreißigjährigen Berufserfahrung mindestens ebenso viele Schadensfälle von nahen Angehörigen von Unfallopfern abgewickelt und all diese Personen könnten sicherlich nur schwer nachvollziehen, dass ihnen nach dem Ableben eines Sohnes ein Schadenersatzbetrag zugesprochen wird, welcher unter dem Kaufpreis eines Kleinwagens liegen sollte, den sie womöglich ein paar Wochen vorher gekauft hatten. Somit sollte ein Mindestbetrag von Euro 100.000,00 allemal vorgesehen werden, andernfalls sollte man die Einführung eines Schmerzensgeldes für nahe Angehörige von Unfallopfern besser sein lassen.

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Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass gerade der Fall der italienischen Studentin Giulia, welche anlässlich der Love Parade in Duisburg zu Tode gekommen ist, in Italien für große Aufregung und Unverständnis gesorgt hat, da eine deutsche Haftpflichtversicherung der Mutter als Schadenersatz einen Betrag von Euro 2.000,00 !!!! angeboten hat. Dieser Fall fand in sämtlichen italienischen Medien große Beachtung und in der öffentlichen Meinung wurde nach italienischem Verständnis – bei dem die familiäre Bindung, wie in allen südlichen Ländern, wahrscheinlich eine engere darstellt, als in Mittel- und Nordeuropa – die Mutter des Opfers durch das oben genannte Angebot, zuzüglich zu ihrem Schmerz und der Trauer, auch noch verhöhnt. Wenn in Deutschland in solchen Fällen schon kein Schadensersatz geleistet wird, dann hätte man nach Auffassung der Mutter bzw. der Medien überhaupt davon Abstand nehmen sollen, ein nach italienischem Verständnis so lächerliches Angebot überhaupt zu unterbreiten bzw. ein Journalist meinte sogar, man hätte den angebotenen Betrag besser an die Bedürftigen nach Cape Horn schicken sollen.

Die Diskussion über möglichen Missbrauch usw. sollte man meiner Auffassung nach somit fallen lassen, zumal andernfalls im Ausland der Eindruck erweckt wird, dass das Rechtsgut des Eigentums (sprich Auto = heilige Kuh) in Deutschland einen besonderen Schutz erfährt, während die vom Grundgesetz geschützten Rechtsgüter, wie das Leben, die Gesundheit, die Familie usw., die allemal doch einen höheren Stellenwert haben sollten, im deutschem Schadensrecht bzw. in der Gesellschaft nicht in gebührender Weise Beachtung finden und entsprechend geschützt werden. Es kann schwer bestritten werden, dass in Italien, viel mehr als in Deutschland, in der Gesellschaft ein ausgeprägteres Verständnis für bestimmte Schutzgüter vorhanden ist. Wir wissen um das kontinuierlich wechselseitige Zusammenspiel von Gesellschaft und Rechtsordnung und nur jene Grundwerte und Schutzgüter, die in der jeweiligen Gesellschaft anerkannt sind, können in den Rechtsetzungsprozess eingehen, können als Recht ausgeformt werden. Ich bin der vollen Überzeugung, dass wir Juristen quasi einen Öffentlichkeitsauftrag haben und für die Vermittlung und Lebendighaltung von Grundwerten einstehen und in der Gesellschaft das Bewusstsein für die Wertigkeit von Schutzgütern stärken sollten.

Die im deutschen Zivilrecht bestehende Beschränkung der Ansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen jeglicher Art dürfte nach meinem Dafürhalten somit nicht mehr zeitgemäß sein und stößt zumindest in Italien (und vielleicht auch in anderen europäischen Nachbarstaaten) auf kein großes Verständnis.

Es sollte folglich vom deutschen Gesetzgeber eine Bestimmung erlassen werden, bei der aufgrund einer verstärkten Verzahnung dieser Bestimmung mit den im Grundgesetz verankerten (und oben angeführten) Grundwerten ein ausgeprägterer Rechtschutz für die Ansprüche naher Angehörigen von Unfallopfern geschaffen werden kann. Im Gegenzug müssten aber Möglichkeiten der Anspruchstellung bei reinen Sachschäden (und im Besonderen bezüglich reiner Folgekosten, wie Nutzungsausfall, Wertminderung, Gutachterkosten usw.) allemal unbedingt beschränkt werden, um die Versicherungswirtschaft nicht übermäßig zu belasten.

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Autor

Rechtsanwalt
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