Rechtsnews 08.07.2014 Christian Schebitz

Die Spähaffäre der NSA – Bestandsaufnahme und Expertenmeinung

Über ein Jahr ist vergangen, seit die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Agenten Edward Snowden die Öffentlichkeit aufgeschreckt und zu einer intensiven Diskussion über die Sicherheit der digitalen Kommunikation geführt haben. Bei den Debatten über den NSA-Skandal standen neben der politischen Dimension des Falls auch rechtliche Fragen im Raum: wie ist das massenhafte Abschöpfen privater Kommunikationsdaten durch Geheimdienste aus völkerrechtlicher Sicht zu bewerten? Sind die Aktivitäten der jeweiligen Nachrichtendienste ausreichend durch nationale Rechtsvorschriften abgedeckt oder besteht Nachholbedarf? rechtsanwalt.com stellt die Lage in der aktuellen Diskussion für Sie zusammen.

Geheimdienstaktivitäten und Völkerrecht

Zu den umfangreichen Aktivitäten der amerikanischen National Security Agency (NSA), die durch Edward Snowden ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurden, zählt neben der Aushorchung wichtiger Politiker vieler Staaten durch die USA vor allem die Erfassung und Abspeicherung von Daten über Privatpersonen auf der ganzen Welt. Mithilfe spezieller Programme sind US-Geheimdienste nicht nur in der Lage, Metadaten über die Kommunikation einzelner Personen abzuschöpfen, sondern auch deren Echtzeitkommunikation. Diese neue Art der verdachtsunabhängigen Überwachung von Bürgern fremder Staaten durch die USA ist Kernbestanteil der Diskussion um die völkerrechtliche Dimension der Affäre. Zahlreiche juristische Experten haben im Verlauf der Debatte betont, dass die klassische Spionage zwischen Staaten nicht verboten ist. Zur gängigen geheimdienstlichen Praxis gehört es, dass Staaten in ihren Botschaften im Ausland Mitarbeiter ihrer Geheimdienste platzieren; spioniert wird also prinzipiell überall.

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Übereinstimmend wird jedoch betont, dass die neu bekanntgewordenen Aktivitäten der Geheimdienste im Völkerrecht nicht abgedeckt sind. Für Robin Geiß (Professor für Völker-und Europarecht, Universität Potsdam) stellen diese Praktiken einen Widerspruch zum völkerrechtlich verankerten Schutz der Privatsphäre dar. Über das Problem der „Greifbarkeit“ der fraglichen Aktivitäten berichteten kürzlich Stefan Talmon (Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Bonn) und Helmut Philipp Aust (Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität Berlin) vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages. Spionage, die beispielsweise an einem Tiefseekabel stattfindet, also außerhalb jeglichen Staatsgebietes, sei vom Völkerrecht gar nicht betroffen. Nach Ansicht von Douwe Korff (Professor für Internationales Strafrecht an der London University) sind geheimdienstliche Handlungen illegal, wenn sie gegen die überall geltenden Menschenrechte verstoßen, auch in internationalem Gebiet. Werden ohne erfolgte Abwägung zwischen den Rechten des Einzelnen und der Öffentlichen Sicherheit pausenlos Daten über unbescholtene Menschen abgefischt, so sei dies nicht rechtens.

Eindeutig ist die Lage nach Ansicht der Experten im Fall der Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Mobiltelefon offensichtlich über Jahre hinweg durch die Amerikaner systematisch abgehört wurde. Hier könnte §99 StGB greifen, der Aktivitäten im Sinne ausländischer Geheimdienste unter Strafe stellt. Sollte das Handy Merkels aus der US-Botschaft in Berlin heraus abgehört worden sein, so wäre dies zusätzlich ein Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961, das den Missbrauch von Botschaftsräumen, etwa zu Spionagezwecken, verbietet. Erst kürzlich kündigte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Harald Range nach anfänglichem Zögern an, dass in dieser Sache ein Ermittlungsverfahren wegen Anfangsverdacht auf Spionage und Agententätigkeit eingeleitet werde. Ob ein solches Ermittlungsverfahren zum Erfolg führt, darf jedoch bezweifelt werden – es ist zu erwarten, dass die im Fokus der Ermittlungen stehenden amerikanischen Behörden nichts zur Klärung des Sachverhalts beitragen werden.

No-Spy-Abkommen und UN-Resolutionen

Angesichts dieser offenkundigen Schwierigkeit, den Aktivitäten der NSA in Deutschland beizukommen, bemüht man sich verstärkt um politische Lösungen. Die letztes Jahr aufgekommene Idee, man könne mit anderen Staaten, vor allem den USA, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen unterzeichnen, musste mittlerweile jedoch wieder fallen gelassen werden. Vor allem weil sich die USA nicht vorstellen können, ein solches bilaterales Abkommen zu unterzeichnen. Die Amerikaner befürchten für den Fall des Abschlusses eines solchen Abkommens mit Deutschland, dass auch andere Staaten ähnliche Vereinbarungen treffen wollen würden. Ende 2013 brachten Vertreter Deutschlands und Brasiliens im Menschenrechtsausschuss der Vollversammlung der UN einen Resolutionsentwurf ein, der die gleichen Rechte im Internet fordert, die für alle Menschen auch im „normalen“ Leben gelten. Die Resolution bezieht sich auf den 17. Artikel des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte von 1976, wo „willkürliche oder illegale Eingriffe in die Privatsphäre, die Familie, die Wohnstätte oder den Briefverkehr“ untersagt sind. Die Resolution zielt auf eine Anpassung des Artikels an das heutige Internetzeitalter ab.

Diskussionen in den USA und Deutschland – die Rolle des BND

In den Vereinigten Staaten von Amerika entzündete sich die Debatte um die Enthüllungen Edward Snowdens vor allem an der Tatsache, dass die NSA nicht nur im großen Stil Daten über Ausländer sammelt, sondern auch über Angehörige des eigenen Staates. Einwände gegen die Praktiken der US-Geheimdienste werden vor allem erhoben, weil man einen Widerspruch zum 4. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten sieht. Der 4. Zusatzartikel garantiert die „Sicherheit der Person und der Wohnung, der Urkunden und des Eigentums vor willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme“, außerdem dürfen „Haussuchungs- und Haftbefehle […] nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden“. Mitte Februar 2014 kündigte der republikanische Senator R
and Paul eine Sammelklage an, an der sich weitere 386.000 Amerikaner beteiligen. Ziel der Klage ist es, dass für die Abfrage und Speicherung von Kommunikationsdaten US-amerikanischer Bürger in Zukunft eine richterliche Erlaubnis durch die Geheimdienste eingeholt werden muss.

In Deutschland kam zusätzlich zur Diskussion über die Aktivitäten der NSA auch eine Debatte über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes (BND) auf. Dass der BND offenbar in großem Umfang Datensätze von der NSA erhält, die auf fragwürdige Weise gewonnen wurden, bezeichnete  Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, in einer Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags als „unzulässig“. Die ebenfalls an der Sitzung teilnehmenden Mathias Bäcker (Professor für öffentliches Rechts an der Universität Mannheim) und Wolfgang Hoffmann-Riem (früher Richter am Bundesverfassungsgericht) forderten die Schaffung klarer rechtlicher Bestimmungen über die Arbeit des BND durch den Gesetzgeber. Außerdem wurde eine generelle Umstellung vom Tatort- auf das Schutzprinzip angeregt, um deutsche Bürger besser vor Taten schützen zu können, die im Ausland gegen sie begangen werden.

Es bleibt abzuwarten, ob sich infolge des NSA-Skandals rechtliche Neuerungen ergeben werden. Hans-Jürgen und Wolfgang Hoffmann-Riem forderten bereits, dass die Sicherung der Telekommunikation als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen werden müsse. Ob sich langfristig auch auf internationaler Ebene verbindliche Regeln über die Arbeit der Geheimdienste durchsetzen lassen, wird sich noch zeigen müssen.

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